Osama (German Edition)
von dem er fast schon vergessen hatte, dass er es kannte. Hier gab es noch mehr Buchhandlungen, und sie hatten sich auf das spezialisiert, was man grob den Fernen und den Nahen Osten nannte: In den Schaufenstern lagen alte Bücher mit Bildern von den Pyramiden und der Verbotenen Stadt, einst große Besitzungen des britischen Weltreichs, heute nur noch Erinnerungen von Soldaten und Verwaltern. In den Schaufenstern gab es alte erbeutete Münzen und die Büsten von längst verstorbenen Kaisern und den Geruch von trockenem Leder und Staub, und unter seinen Füßen die Roste eines Abwasserrohrs, das widerhallte, als er darüberging. Was tust du in London, dachte er, und die Antwort war einfach und klang in seinem Kopf wie Mos Stimme: Du gehst ins Museum.
Messer, Leichen, Vasen und Götter
Vor den Toren des Britischen Museums stand ein Mann, der Hotdogs verkaufte, und der Duft von gebratenen Zwiebeln machte Joe hungrig. Er blieb stehen und kaufte sich einen.
»Gefällt Ihnen London?«, fragte der Mann hinter dem Hotdog-Wagen.
»Amüsiere mich königlich«, antwortete Joe.
Als er den Vorplatz betrat, kaute er Bockwurst und pappiges Brötchen. Innerhalb kurzer Zeit hatte er sie aufgegessen. Obwohl er sich, so gut es ging, mit der Serviette die Hände abwischte, fühlte er sich schmierig. Im Mund hatte er einen Geschmack von Zwiebeln und billigem Senf. Er knüllte die Serviette zusammen, warf sie in einen Mülleimer und stieg die Treppe zum Museum hinauf. In dem Moment glaubte er in der Menge ein Paar vertraute schwarze Schuhe zu entdecken, doch als er sich umdrehte, waren sie weg. Er hatte den Abholschein für die Garderobe, beschloss aber jetzt, vorsichtig zu sein, ehe er ihn überprüfte, und so betrat er das Gebäude und stieß auf Treppen, die links und rechts von ihm nach oben führten, und eine andere Tür, hinter der ein großer, spärlich beleuchteter Raum lag.
Treppauf und treppab ging er, besah sich Spiegelbilder in spiegelnden Flächen, nahm weniger die Ausstellungsstücke in Augenschein als vielmehr die Menschen, die kamen, um sie zu sehen. In der Ägyptischen Sammlung sah er dreitausend Jahre alte riesige Statuen von längst verstorbenen Pharaonen. Katzenköpfige Göttinnen schienen ihn von oben herab zu beobachten. Er sah die schwarze Fassade des Rosettasteins und ein Fragment des Sphinx-Bartes, und er dachte, wenn genug Platz da gewesen wäre, hätten sie die ganze Sphinx hereingeschleift, von ihrem sandigen Aufenthaltsort in Ägypten bis hierher. In einer Ausstellungsvitrine fand er den mumifizierten Körper der Kleopatra von Theben. Er starrte sie lange an, ehe er sich abwandte. In einem anderen Teil sah er die Hälfte des Parthenon, vom Earl of Elgin von Griechenland hierher transportiert. Leicht bekleidete Marmorstatuen, die in der kalten Düsterkeit des Britischen Museums verwirrt aussahen.
Es gab Statuen, Skulpturen, Flachreliefs, Schrifttafeln, Gemälde, Münzen, Schmuck, Messer, Leichen, Vasen, griechische Götter, ägyptische Götter, Buddhas, Bücher, das Beutegut einer ganzen Welt, angehäuft, aufbewahrt, gesammelt und bewacht. Es kam aus China, dem Irak, aus Tasmanien, Benin, Ägypten und dem Sudan, aus Indien und dem Iran und aus Äthiopien. Gerade so, als wären die Briten in die Welt hinausgezogen, hätten sie ihres Erbes beraubt und wären, mit ihrer Fracht beladen, zurückgekehrt, um ihre Stadt damit zu schmücken.
Es war ein schrecklich arrogantes Gebäude, so schien es Joe. Wieder dachte er an die Bücher, die er gelesen hatte, an ihren geheimen Krieg. Warum kämpften sie? Dort in dem friedlichen Museum glaubte er, eine winzige Andeutung davon sehen zu können, die Finger des Altertums, die in die Gegenwart krochen und sie schüttelten.
Wenigstens die Sphinx war zu groß, um bewegt zu werden, dachte er und lachte, und lief treppauf, treppab im Kreis durch das große Gebäude, bis ihm die Füße wehtaten, und sah niemanden, der ihm folgte, bis er schließlich wieder da ankam, wo er gestartet war, und einen Mantel holen ging, der ihm nicht gehörte.
Müll in der Wüste
Jahrtausendelang war sie der Schauplatz von Kriegen gewesen. Völkerwanderungen zogen über ihre weite Fläche aus feinem gelbem Sand hin und her, von Afrika nach Asien und in den Rest der Welt, dann in Gestalt verschiedener Kolonisatoren wieder zurück. Die Zehn Gebote, die sich – in historischer Reihenfolge – Juden, Christen und Muslime teilen, wurden hier dem Moses verkündet, als er vor der Armee des
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