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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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ziemlich beruhigend. Er fand einen Platz, besetzte ihn. Im Vorbeifahren waren die Tunnelwände gespenstisch, die Stationen unerwartete Explosionen weißen Lichts. Am King’s Cross stieg er aus und wanderte etwas verloren durch die Station, in der unterirdische Höhlen sich über ihm öffneten: Er kam sich vor wie ein Forscher in einem Stummfilm, der, einen Tropenhelm auf dem Kopf, in das Grab einer Mumie eindrang. Stattdessen bekam er eine Wegbeschreibung von einer uniformierten Schwarzen, die in Richtung Circle Line zeigte, stieg in den Zug und zählte die Stationen.
    An der Station Edgware Road stieg er aus. Es gab keine Rolltreppen, also stieg er die breiten Treppen hinauf und ins Sonnenlicht, und er fragte sich, ob wohl ein Fluch auf dem Grab des Pharao lag, und falls ja, wann er sich äußern würde. Ein kurzes Stück blieb er auf der Straße, die an der Station entlangführte, und bog dann nach rechts in die eigentliche Edgware Road ab. Nachdem er durch eine Unterführung gegangen war, schienen sich die Läden alle zu verändern, und als er an zwei jungen Leuten vorbeikam, sagte der Mann mit einer für seine blonde Freundin gedachten Geste: »Und das hier nennen wir Klein-Kairo.«
    Klein-Kairo. Hier gab es Kaffeehäuser, in denen Männer saßen und Shisha rauchten, und Imbissbuden, wo große Fleischspieße sich langsam unter Flammen drehten, während an den Seiten Fett hinuntertropfte. Verschleierte Frauen gingen mit ihren Kindern die Straße entlang oder schoben Babys in ihren Buggys, und er konnte Zimt und Kümmel riechen, und die Männer spielten Backgammon, er konnte das fortwährende, einem Donner gleichende Rollen der Würfel hören.
    Das blonde Mädchen sagte: »Das ist so romantisch.« Der junge Mann grinste und zog sie an sich.
    Auf der Straße fuhren Mercedes-Benz, schwarz und glänzend, und es gab Männer mit Kufiyas, Bärten und Schnäuzern, und Geschäfte, in denen Spielzeug und Kleider und Lebensmittel verkauft wurden, und viele Schilder, die viele Schnäppchen anpriesen. Joe hielt nach Mos Büro Ausschau, und als er in die Straße einbog, stieß er dort auf einen Straßenmarkt, wo es nach Fisch roch. Um nicht mitten durch den Markt gehen zu müssen, bewegte er sich am Rand der Straße, vorbei an einer Bäckerei und einem Blumenladen, hielt dann inne, ging ein Stück zurück und kaufte, ohne genau zu wissen, warum, eine Rose. Die Frau, die sie ihm verkaufte, reichte sie ihm mit einem Lächeln. »Ich hoffe, sie gefällt ihr«, sagte sie. Joe lächelte verlegen. Die dunkelrote Rose in der Hand, setzte er seinen Weg fort, vorbei an einem Schild für Sachs & Levine, Rechtsanwälte , und am allmählich ausfransenden Ende des Marktes überquerte er die Straße und fand das Gebäude.
    Am Bordstein parkten ein paar Autos, keins davon neu. Beim Überfliegen der Firmennamen an der Tür entdeckte er den von Mo, die weiße Farbe verwittert, das Wort Privatdetektei schon halb abgeblättert. Durch die Tür betrat er den Korridor, in dem es dunkel und still war, die Fensterscheiben verschmutzt, der Fußboden staubig, und wieder hatte er das Gefühl, er beträte eine geweihte Grabstätte, und letztlich hätte er doch gerne einen Tropenhelm gehabt. Trotzdem stieg er die schmale Treppe zum dritten Stock hinauf und fand die Tür, versuchte sich am Türgriff.
    Sie war unverschlossen. Er schob die Tür auf und trat ein.

Verlust, der zwischen den Staubkörnern schwebt
    In Mos Büro war niemand. Es gab ein Fenster mit Blick auf die Straße, die Joe gerade überquert hatte, auf rotgraue Backsteingebäude mit Wäsche vor den Fenstern. Wenige Autos. Es gab einen Schreibtisch, eine Lampe und eine Zigarrenkiste – Joe schob den hölzernen Deckel auf und sah, dass nur noch drei Stück drin waren, ihr Duft strömte aus der Kiste heraus in den Raum. Jedenfalls keine Hamlets. Romeo und Julias vielleicht, die kubanische Version von Shakespeare.
    Hinter dem Schreibtisch stand ein großer Stuhl, zwei kleinere davor. Ein Papierkorb, ein Aktenschrank aus Metall, an der Wand ein Regal mit ein paar Büchern drauf. Er brauchte gar nicht näher hinzusehen, um zu wissen, dass es Osama-Taschenbücher waren. Das Büro erinnerte Joe an sein eigenes zu Hause in Vientiane. Kahl und karg eingerichtet, mehr Zelle als Büro. Er begann es zu durchsuchen.
    Er fand keinen Scotch, was ihn enttäuschte, denn plötzlich lechzte er nach einem Drink. Irgendwo hätte ein Fotoapparat sein müssen, vermutlich auch Negative, aber er konnte nichts finden:

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