Osten, Westen
noch schlimmer kommen.
Am selben Nachmittag erschien ein angstbebender Schuldner vor der Haustür, um zu bekennen, dass er die fällige Zinsrate nicht zu zahlen vermochte. Er beging dabei den Fehler, Hashim auf eine eher hochfahrende Art daran zu erinnern, wie scharf der Koran den Zinswucher verurteile. Der Geldverleiher geriet außer sich vor Zorn und bearbeitete den Mann mit einer Lederpeitsche aus seiner großen Sammlung.
Unglücklicherweise kam zufällig am selben Tag ein zweiter
säumiger Zahler und bat um Aufschub; dieser wurde gesehen, wie er mit einer tiefen Schnittwunde am Arm aus Hashims Studierzimmer floh. Humas Vater hatte ihn beschuldigt, anderen Menschen das Geld zu stehlen, und dem Unglücklichen mit einem der achtunddreißig kukri- Messer , die an der Wand seines Studierzimmers hingen, die rechte Hand abhacken wollen.
Dieser Bruch der ungeschriebenen Anstandsgesetze der Familie beunruhigte Atta und Huma sehr. Als ihre Mutter an jenem Abend versuchte, Hashim zu beschwichtigen, schlug er sie mit der flachen Hand ins Gesicht und ging auch sofort wutschnaubend auf Atta los, der seiner Mutter zu Hilfe kam.
«Von heute an», brüllte Hashim, «werde ich hier für Disziplin sorgen!»
Die Frau des Geldverleihers erlitt einen hysterischen Anfall, der sich über die ganze Nacht und den folgenden Tag hinzog und ihren Ehemann so provozierte, dass er ihr mit der Scheidung drohte, woraufhin sie in ihr Zimmer lief, die Tür verriegelte und sich in einen Weinkrampf flüchtete. Nun war es an Huma, die Selbstbeherrschung zu verlieren. Sie beschimpfte ihren Vater, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, und verkündete (aufgrund jenes Unabhängigkeitswillens, den er ihr selbst anerzogen hatte), dass sie nie, niemals einen Schleier vor dem Gesicht tragen werde, denn das sei, von allem anderen abgesehen, schlecht für die Augen.
Als er dies hörte, enterbte der Vater sie auf der Stelle und gab ihr eine Woche Zeit, ihre Siebensachen zusammenzupacken und sein Haus zu verlassen.
Am vierten Tag war die Luft im Haus so dick geworden, dass es schwerfiel, sich in ihr zu bewegen. Atta sagte zu seiner vor
Schreck benommenen Schwester: «Wir sinken bis in die tiefste Gosse – aber ich weiß, was wir tun müssen.»
An diesem Nachmittag verließ Hashim das Haus in Begleitung von zwei bezahlten Schlägern, um von den beiden säumigen Klienten die Zinsschulden einzutreiben. Stehenden Fußes eilte Atta ins Studierzimmer seines Vaters. Als Sohn und Erbe besaß er einen eigenen Schlüssel für den Safe des Geldverleihers. Diesen benutzte er, um die kleine Phiole aus ihrem Versteck zu holen; dann steckte er sie in die Hosentasche und verschloss die Tür des Safes.
Nun erzählte er Huma von dem Geheimnis des Fundstücks, das sein Vater aus dem Dal-See gefischt hatte, und rief: «Vielleicht bin ich verrückt – vielleicht haben mir die schlimmen Dinge, die gegenwärtig geschehen, tatsächlich den Verstand geraubt –, aber ich bin überzeugt, dass es in diesem Haus keinen Frieden geben wird, bis dieses Haar daraus verschwunden ist.»
Als seine Schwester ihm spontan zustimmte, dass das Haar zurückgegeben werden müsse, machte sich Atta mit einer Miet- shikara zur Moschee von Hazratbal auf. Erst als das Boot ihn am Rand der heftig erregten Menschenmenge absetzte, die sich um das entweihte Heiligtum drängte, entdeckte Atta, dass die Reliquie nicht mehr in seiner Hosentasche steckte. Statt der Phiole fand er nur ein Loch, das seiner Mutter, sonst in Haushaltsdingen immer so gewissenhaft, in der Aufregung über die jüngsten Ereignisse entgangen sein musste.
Attas anfängliche Enttäuschung wich bald einem Gefühl tiefster Erleichterung.
Angenommen, stellte er sich vor, ich hätte den Mullahs bereits erklärt, dass sich das Haar in meinem Besitz befindet. Die würden mir doch jetzt nie mehr glauben – und dieser Mob würde mich sofort lynchen. Wie dem auch sei, es ist verschwunden,
und mir ist eine Last von der Seele genommen. Zufriedener, als er es seit Tagen gewesen war, kehrte der junge Mann nach Hause zurück.
Dort fand er seine Schwester zerschlagen und weinend in der Halle; oben jammerte die Mutter in ihrem Schlafzimmer, als wäre sie gerade Witwe geworden. Er bat Huma, ihm zu erzählen, was sich zugetragen hatte, und als sie antwortete, der Vater habe es, als er von seinem brutalen Geschäftsgang zurückgekehrt war, abermals zwischen Boot und Anlegesteg silbern glitzern sehen, habe die Reliquie abermals
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