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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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also. Genau wie sie erwartet hatte. Und ein erfolgreicher dazu. Endlich einer, der sich nicht nur über den Kunstbetrieb beschwerte und den Massengeschmack widerlich fand,
sondern einer, dem es tatsächlich gelang, seine Bilder zu verkaufen.
    Sie ließen die Kugel einfach durchlaufen. Es wäre ein Leichtes gewesen, sie hochzuschießen in den High-Score-Raum. Sie hatten beide dem Apparat bereits den Rücken zugedreht. Die Kugel rollte am rechten Flipper entlang ins Aus.
    Vor der Kneipe sah sie sich fragend nach seinem Auto um. Aber er musste sie enttäuschen. »Ich bin mit dem Taxi gekommen. Wenn ich voll bin, fahre ich nie.«
    »Bist du denn voll?«, fragte sie erstaunt.
    Er schüttelte die Locken. »Nein. Aber ich hatte vor, mich langsam volllaufen zu lassen … bevor ich dich sah, versteht sich.«
    Sie gingen durch die Hammer Straße zu ihrem silbergrauen Golf. Bevor sie ins Auto stiegen, fragte sie ihn nach seinem Namen, und er meinte, sie solle sich einen aussuchen. Auch er wolle ihren Namen gar nicht wissen. Das entzaubere doch nur die Situation, sagte er, dann schlug er vor, sie »Schneeflocke« zu nennen. In dieser lauen Nacht kam ihr das sehr erfrischend vor und sie fand es poetisch. Trotzdem hatte sie einen Einwand. »Schneeflocken«, sagte sie, »leben nicht lange.«
    Er lächelte, als habe er auf dieses Stichwort nur gewartet, und sagte: »Sie sterben nicht. Sie schmelzen und verändern ihre Form.«
    »Okay«, lachte sie, »aber dann will ich dich Rattenzahn nennen.«
    Unwillkürlich tastete er an seine Lippen. »Wieso Rattenzahn? Nein, Rattenzahn gefällt mir gar nicht. Habe ich etwa Rattenzähne?«
    »Nein«, sagte sie, »ich wollte dich nur auch mal verunsichern.«
    Sein Gesicht erhellte sich zu jungenhafter Freude. »Also, wie nennst du mich dann? Wer darf ich heute für dich sein?«
    »Chagall«, schlug sie vor, doch er schüttelte den Kopf.
    »Magst du den nicht?«
    »Der ist mir zu süßlich.«
    Sie griff in die ganz andere Kiste. »Jeff Koontz?«
    Er verzog den Mund spöttisch und winkte ab. »Was der macht, ist keine Kunst. Das ist Kirmes. Bunter, schreiender Kitsch.«
    Sie wollte nicht noch einmal danebenliegen und sich lieber langsam herantasten. »Etwas Klassisches«, schlug sie vor. »Goya. Oder sagen wir … «
    Er wollte sie gerade bitten, ihn doch Hieronymus zu nennen, aber vielleicht hätte er damit zu viel von sich preisgegeben.
    Sie schüttelte ihre schmutzig roten Haare. »Weißt du, was? Ich schau mir erst mal deine Bilder an und dann sag ich dir, wer du für mich bist.«
    Ja, dachte er, wenn du meine Bilder gesehen hast, wirst du wissen, wer ich bin. Aber dann wirst du keinen Kosenamen mehr für mich wählen, sondern mich nur noch bitten, dich zu verschonen.
    »Wenn du zu Hause eine Frau hast oder irgendeine andere Person, die uns Probleme machen könnte, dann können wir auch zu mir fahren. Meine Eltern sind sehr liberale Menschen. Außerdem habe ich einen separaten Eingang.«
    Sie will mich tatsächlich mit in dein Haus nehmen, Diebold.
    Der Gedanke daran jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Etwas daran gefiel ihm, aber andererseits wollte er nicht zu leichtsinnig werden.
    »Fahren wir besser zu mir«, sagte er. »Jetzt links, und dann auf die Schnellstraße.«
    Er dirigierte sie durch die Nacht, hin zu der Falle, die er für sie aufgebaut hatte.
    Sie suchte nervös nach einem Radiosender und blieb bei einem nächtlichen Beitrag hängen, in dem die Originalsongs von Tom Waits mit der kölschen Fassung von Gerd Köster verglichen wurden.
    Sie hielten an einer Tankstelle. Er lief rein und kaufte Red Bull und zwei kleine Flaschen Wodka, ging dann zur Toilette und verfeinerte ihr Red Bull mit ein paar Tropfen Liquid Ecstasy.
    Christina trank mit ihm. Sie knutschten ein bisschen, aber sie schlief noch nicht ein. Um Zeit zu gewinnen, drehte er sich eine Zigarette. Als seine Zunge an dem Gummi leckte, spürte sie es zwischen ihren Schenkeln, als sei seine Zunge dort entlanggefahren und nicht über den Klebestreifen. Sie war bereit, es gleich jetzt, hier auf dem Parkplatz mit ihm zu machen. Sie erkannte sich selbst nicht wieder.
    Dann überkam sie diese unglaubliche Müdigkeit.

 
    Als sie wach wurde, befand sie sich in einem stockdunklen Raum. Es war so schwarz um sie herum, dass sie für einen Moment nicht einmal wusste, ob sie sich draußen befand oder in einem Zimmer. Es fehlte jede Art von Sinneseindruck. Keine Farbe, kein Geräusch, kein Geruch, kein Wind auf der Haut. Da war

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