Ostfriesengrab
lange, lackierte, aber nicht wirklich gepflegte Fingernägel. Eine Maniküre würde notwendig werden. Er sah noch viel Arbeit mit ihr vor sich. Aber am Ende könnte sie nahezu perfekt werden.
Der silberne Ball wurde von den Bumpern zurückgeschossen und klickte ins Aus. Enttäuscht schlug sie mit der Handfläche auf die Glasplatte. Wie um etwas gegen ihre schlechte Laune zu tun, gab der Apparat ihr mit einem metallischen Geräusch, als würde ein Monster mit Zahnschmerzen rülpsen, ein Freispiel auf Endzahl. »Ja!«, rief sie. »Na bitte!«
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte er.
Ohne sich nach ihm umzudrehen, nahm sie das Spiel an und feuerte den ersten Ball durch eine glitzernde Leuchtbahn ins Rennen.
»Was halten Sie von einem Doppelspiel?«, fragte er. »Man nennt mich auch den Flipperkönig von Münster.«
Sie machte sofort die rechte Seite frei. Schulter an Schulter standen sie jetzt, jeder flipperte nur mit einer Hand, und ihr Zusammenspiel funktionierte von Anfang an prächtig. Es kam
ihr so vor, als hätte sie den Ball noch nie so lange im Spiel gehalten wie jetzt mit ihm gemeinsam. Sie hatte nur den Bruchteil einer Sekunde, um ihn zu mustern. Sie war sich sicher, ihn noch nie gesehen zu haben. Er war mindestens fünfzehn bis zwanzig Jahre älter als sie, aber sie hatte sofort Vertrauen zu ihm. Er roch gut. Nach Ölfarben und Terpentin. Und nach starkem, schwarzem Tabak. Die besten Menschen, die sie kannte, verströmten diesen Duft. Im Atelier ihres Vaters duftete es so. Manchmal hatte sie an den Pinseln gerochen und sich fast daran berauscht. Als sie klein war, dachte sie, ihr Vater male nur deshalb, weil er dem Zauber dieses Geruchs erlegen war. Der Mann ihrer Träume konnte kein Rockmusiker sein, kein Schauspieler, kein Staatsmann. Sie brauchte einen, der roch wie Picasso. Wie ihr Papa. Wie all die großen Malerhelden. Nach Öl.
Am Billardtisch jubelte ein Student über seinen gelungenen Stoß. »Eingelocht! Eingelocht!«
Er warf zwei Euro ein und spendierte die nächsten Spiele. Sie flipperten weiter zu zweit, und schon beim dritten Spiel begannen sie, ihre Hüften rhythmisch gegeneinander zu stoßen. Ihre Bewegungen waren wie ein Echo auf den Ball. Sie lachten bei jedem gelungenen Versuch, ihre Hüftbewegungen mit dem hin und her flippernden Ball zu koordinieren. Längst war klar, dass sie bereit füreinander waren und diese Nacht miteinander verbringen würden.
Es langweilte ihn fast, so einfach war es.
Es wurde langsam voll in der Kneipe. Sie hatten mit ihrem Gekichere und ihrem Balztanz am Flipper die ganze Aufmerksamkeit der einsamen Zecher an der Theke. Die machten ihm am wenigsten Sorgen. Sie würden sich ohnehin nur an Christinas Arsch erinnern.
Die Doppelkopfspieler in der Ecke, nah bei der Tür, schielten immer wieder herüber, aber was würden sie schon über ihn sagen
können? Ein Mann in Jeans, blauer Pullover, vielleicht auch grün, V-Ausschnitt. Er hatte einen Zopf, war ein bisschen älter als sie. Viel mehr traute er ihnen nicht zu.
Gefährlicher waren die Studenten, die dort hitzköpfig über ungerechte Noten und den AStA diskutierten. Einer von ihnen sah merkwürdig eifersüchtig zu ihnen hinüber. Ob er ein Auge auf Christina geworfen hatte?
Es wurde Zeit zu gehen. Er brauchte jetzt nur noch den passenden Spruch. Er wollte es zunächst mit »Gehen wir zu dir oder gehen wir zu mir?« versuchen, aber dann schien ihm das zu platt und zu riskant. Noch war alles zwischen ihnen unausgesprochen. Noch konnte er alles mit einem falschen Wort verderben. »Gehen wir zu dir oder gehen wir zu mir« war zu altbacken. Es zementierte den Altersunterschied zwischen ihnen. Er brauchte etwas, das ihn aufhob.
Er brachte seinen Mund nah an ihr Ohr. Ihre Haare kitzelten ihn in der Nase. »Ich möchte Champagner aus deinem Bauchnabel trinken.«
Sie kreischte, als hätte er sie bereits mit dem edlen Getränk nass gespritzt, aber es war nur ein gelungener Schuss ins Multiple-Choice-Gate, der sie so einen Laut ausstoßen ließ. Dann sah sie ihm fragend in die Augen, und er spielte den Weltmann: »In guten Zeiten sollte man sich etwas gönnen, damit man in schlechten weiß, wie es geht.«
Sie lachte hell auf. Sie wusste, dass ihr breiter Mund und ihre weißen Zähne für sie sprachen, und sie verstand beides einzusetzen.
»Champagner? Hast du eine Erbschaft gemacht?«
Er lächelte triumphierend. »Ich habe ein Bild verkauft. Und jetzt suche ich jemanden, mit dem ich das feiern kann.«
Ein Maler
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