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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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mit Mandarinen. Im Lesezeichen im Neuen Weg besorgte er sich die ZEIT und die Süddeutsche Zeitung.
    Er kochte sich einen Tee, aber er fand keine innere Ruhe, um die Artikel genau zu lesen. So sehr er es sich auch vornahm, es gelang ihm nicht. Er überflog alles. Seine Blicke jagten über die Zeilen. Er saugte sie in sich auf. Er konnte jede Überschrift sofort auswendig. Hitzewellen jagten durch seinen Körper. Das Kribbeln auf der Haut empfand er als angenehm. Ja, jetzt spürte er sich wirklich. Er war lebendiger denn je.
    Das nächste Opfer hatte er bereits ausgesucht, aber er wusste,
dass er den Zeitplan verändern musste. Es kam Druck in die ganze Sache. Frühling, Sommer, Herbst und Winter, die vier Jahreszeiten, gepaart mit den vier Elementen, das konnte er vergessen. Die Sache musste jetzt erledigt werden. Und noch eine Schwierigkeit tat sich auf: Nach diesen Veröffentlichungen war es nicht mehr so leicht, ein junges Mädchen anzusprechen oder zu sich zu bestellen. Die Menschen waren aufgeschreckt. Sie verhielten sich vorsichtig, ja paranoid. Väter taten sich zusammen, um ihre Töchter gemeinsam von den Schulen abzuholen.
    Irgendeine Unbekannte, dachte er, kann ich so nicht zu mir locken. Sie wird Sicherheiten einbauen. Anderen erzählen, wo sie ist. Ihr Freund kommt mit. Oder wer weiß, was sie sich für Hintertürchen einfallen lässt, um sich zu schützen.
    Natürlich gab es genügend Frauen, die ihm vertrauten. Aber jede Bekannte barg eine Gefahr in sich. Es gab jedes Mal eine für die Kripo rekonstruierbare Verbindung zu ihm.
    Nein, dieses Risiko konnte er nicht eingehen. Alle Frauen, zu denen er schon einmal Kontakt hatte, schieden aus Sicherheitsgründen aus. Es sei denn bei der Letzten, für das krönende Kunstwerk. Dann war sowieso alles egal. Dann sollten sie ihn ruhig verhaften. Erhobenen Hauptes würde er ins Polizeifahrzeug steigen.
    Er stellte sich seinen Prozess im Gerichtssaal triumphal vor. Im Blitzlichtgewitter der Öffentlichkeit.
    Holger Bloem zitierte im Kurier Ann Kathrin Klaasen. Sie sagte, für sie sehe das alles fast so aus, als ob der Mörder den Touristen die schönsten Sehenswürdigkeiten Ostfrieslands zeigen wollte. Schloss Lütetsburg, die Weiße Düne auf Norderney …
    Er lachte laut. Wenn du wüsstest, wie nah du an der Wahrheit bist, dachte er. Ich werde euch eine völlig neue Art von Schönheit zeigen. Meine Ästhetik. Und ich werde euch lehren, richtig hinzugucken.
    Nein, er würde keine Prostituierte nehmen, keine, die irgendwie beschmutzt war. Obwohl es in Emden eine gab, deren Schönheit fast perfekt war. Doch er sah ihr an, dass die Sonne in ihr bereits erloschen war.
    Er hatte eine Lehrerin aus Pewsum gewählt, Carolin Haase. Sie hatte reine Haut und lange blonde Haare. Er hatte sie im Ocean Wave in der Sauna beobachtet. Sie fuhr so weit, um nicht nackt vor ihren Schülern zu stehen. Welche Lehrerin besucht schon eine Sauna in dem Ort, in dem sie wohnt? Sie hatte keine Ahnung, dass sie in der finnischen Trockensauna bei 90 Grad ihrem Mörder gegenübersaß. Sie hatte ihn sogar mit ihrem bezaubernden Lächeln begrüßt.
    Carolin hatte noch keine feste Stelle, war erst seit einem Jahr in Pewsum. Sie unterrichtete mit großem Engagement die Schüler der 8 . Klasse. Die Illusionen, mit denen sie von der Universität gekommen war, erlebten gerade ihr erstes Rendezvous mit der Realität, waren aber noch nicht komplett daran gescheitert.
    Er hatte eine Menge über sie gesammelt. Das meiste war übers Internet leicht zugänglich. Er kannte die Namen ihrer Schüler und er wusste, dass sie ein weiches Herz hatte, sich gerade für die Schwächeren engagierte, und genau damit würde er sie in die Falle locken.
    Sie kam eigentlich aus Cuxhaven. Jetzt war sie wieder Single. Ihr Freund Torsten hatte der Trennung zwar zunächst zugestimmt und meinte, eine Wochenendbeziehung sei immerhin auch eine Beziehung. Am Freitag und Samstag hatte er ihr beim Umzug geholfen, am Montagabend legte er bereits die Kellnerin seiner Stammkneipe flach. Er gestand es seiner Carolin sogar am nächsten Wochenende. Es sei nur ein Ausrutscher gewesen, weil er so traurig in der leeren Wohnung gesessen und sich in der Kneipe hätte volllaufen lassen.
    Inzwischen lebte er mit der Kellnerin zusammen. Sie dachten schon laut über eine Ehe nach.
    Carolin Haase war also allein, als ihr Telefon kurz nach Einbruch der Dunkelheit läutete. Sie klappte den Roman »Mo« von Frank Göhre über das Leben von Friedrich

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