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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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halbseidener. Es war bereits einundzwanzig Uhr, aber hier wurde immer noch gearbeitet. Zwei ausgesprochen schöne Frauen saßen an Computern und tippten so schnell, dass die Phantasie von einem knatternden Maschinengewehr in Wellers Kopf entstand.
    Er konnte nicht sagen, ob die beiden autistisch wirkten oder vollkommen konzentriert. Jedenfalls nahmen sie ihn gar nicht zur Kenntnis. Jede trug ein Headset und schien mehr Kontakt zur Welt kaum zu benötigen.
    An den Wänden hingen hinter Glas Plakate von Modeschauen in London, Paris und New York. Bekannte Namen sollten wohl
das Gefühl vermitteln, diese Modeschauen würden von hier bestückt. Heidi Klum war mehrfach abgebildet, Gisele Bündchen, Laetitia Casta und Diane Krueger.
    Eine Dame zwischen fünfundvierzig und fünfzig, die mehr wog als ihre beiden Mitarbeiterinnen zusammen, näherte sich Weller burschikos und hielt ihm die Hand zum Gruß hin. Sie hatte einen festen Händedruck und sah ihm selbstsicher in die Augen.
    »Die beiden müssen wir in Ruhe lassen, die haben genug zu tun. Sie glauben ja nicht, wie viele Anfragen wir hier bekommen. Das meiste kommt via E-Mail rein. Wir haben einen sehr guten Internetauftritt, müssen Sie wissen, aber den kennen Sie ja bestimmt bereits. Was kann ich für Sie tun?«
    Sie führte ihn in einen kleinen Besprechungsraum. Blaue Plastikstühle. Ein Tisch, der Weller an einen Campingplatz erinnerte. An den Wänden erotische Fotos. Keine Nacktaufnahmen, aber Bilder, wie Weller sie aus dem Playboy kannte – damals, als er noch ab und zu den Playboy an der Tankstelle kaufte und in seiner Junggesellenbude las, also bevor er Renate kennenlernte und sich mit ihr ins Ehegefängnis begab.
    Jetzt erst stellte die dralle Dame sich vor: »Sie hatten ja keinen Termin, aber kommen Sie ruhig herein. Ich bin Vera Winter. Vielleicht kennen Sie mich noch unter meinem Künstlernamen … «
    Weller schüttelte den Kopf. »Nein, bestimmt nicht. Ich komme nicht als Kunde, sondern ich bin von der Kripo in Aurich.«
    Ihre Freundlichkeit verflog sofort. »Sie sind von der Polizei? Was ist diesmal? Was haben wir jetzt wieder ausgefressen?«
    Sie ging hektisch auf und ab und gestikulierte dabei mit den Armen, als würde sie ein imaginäres Schwert führen, mit dem sie die Luft vor sich zerschnitt oder Gegner niedermetzelte. Ein bisschen erinnerte sie Weller jetzt an Ann Kathrin, wenn sie ihren Verhörgang einnahm.
    »In den letzten vier Jahren haben wir hier drei Betriebsprüfungen gehabt. Wissen Sie, was das eingebracht hat? Eine Essenquittung wurde nicht anerkannt, weil der Mehrwertsteuernachweis fehlte und ich vergessen hatte, hinten drauf zu schreiben, mit welchem Kunden ich essen war. Oder, um es genau zu sagen, der Name des Kunden stimmte nicht, weil sich nämlich einige Leute genieren, wenn sie bei uns ein Model für private Aufnahmen bestellen, deshalb kommt hier längst nicht jeder mit seinem richtigen Namen rüber. Aber ich arbeite nicht für die Kirche oder den Staatsschutz. Hauptsache, ich versteuere das Geld, stimmt’s? Der Bäcker weiß auch nicht von jedem, der bei ihm die Brötchen kauft, den Namen. Wichtig ist doch nur, dass er jedes verkaufte Brötchen ordentlich versteuert, nicht wahr?«
    Weller ahnte, dass es schwierig werden würde, winkte aber gleich ab: »Ich bin nicht von der Steuerfahndung, junge Frau, sondern von der Mordkommission.«
    »Sagen Sie nicht nochmal junge Frau zu mir! Ich kann solchen Spott nicht gut ertragen. O ja, ich war eine junge Frau und ich war schön! Ich habe auf den Laufstegen dieser Welt gearbeitet. Ich habe bis zu viertausend am Tag verdient. Damals. Heute glaubt ja jeder Bauerntrampel, er könnte die Welt erobern, nur wenn er ein bisschen mit dem Arsch wackelt.«
    Weller zog ein Foto von Verena Glück hervor und legte es auf den blauen Campingtisch. »Ich brauche den Namen und die Adresse ihres letzten Kunden.«
    Vera Winter lachte bitter. Dabei färbte sich ihr greller Lippenstift auf den weißen Schneidezähnen ab.
    »Ich lebe von der Diskretion, Herr Kommissar. Wissen Sie überhaupt, was das ist? Meine Kunden möchten nicht an die Öffentlichkeit gezerrt werden. Darunter sind Geschäftleute. Universitätsprofessoren. Leute in gehobenen Stellungen, die es sich nicht leisten können, mit erotischer Fotografie in Verbindung gebracht zu werden. Die meisten Menschen verstehen
doch gar nicht, was wir hier machen, für die ist das so eine Art Edelpuff. Nein, von mir werden Sie keine Adressen bekommen. Dann

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