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Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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einen Besuch im Seniorenzentrum abstatten, wer zu solchen Gelegenheiten eine Pistole einsteckte, mit dem stimmte garantiert etwas nicht.
    Ann Kathrin stieg über das Rosenbeet und das Mäuerchen auf die Terrasse und betrat das Wohnzimmer. Sie suchte den Lichtschalter. Sie spürte ihr Herz im Hals klopfen. Ihr Mund war trocken. Ihre Bewegungen fahrig.
    Als die drei Energiesparbirnen über dem Wohnzimmertisch ansprangen, sah Ann Kathrin in die schreckensweit aufgerissenen Augen von Frau Klocke. Obwohl Ann Kathrin sofort wusste, dass Frau Klocke tot war, versuchte sie, lebensrettende Maßnahmen einzuleiten. Sie massierte das Herz der alten Frau, gab ihr gleichzeitig eine Mund-zu-Nase-Beatmung und suchte den Raum mit den Augen nach einem Telefon ab.
    Im letzten Erste-Hilfe-Kurs in der Polizeiinspektion hatte sie gelernt, dass nach den neuen Regeln dreißig Kompressionen des Brustkorbs pro zwei Atemstöße durch Mund-zu-Nase-Beatmung zu geben waren, statt wie früher fünfzehn.
    Sie zählte lautlos mit: »Neunundzwanzig, dreißig … « und blies dann ihren Atem zweimal kräftig in Frau Klockes Nase.
    Sie verfluchte sich, weil sie ihr Handy nicht dabei hatte. Die Werbung für Klingeltöne auf MTV kam ihr jetzt wie Spott vor. Sie sah die Station von Frau Klockes Telefon neben dem Fernsehgerät stehen, aber das Handgerät war nicht dabei. Das Telefon lag auf dem Tisch neben der Obstschale. Ann Kathrin griff hin und wählte den Notruf. Ihre Durchsage war knapp und präzise. Dann fuhr sie mit ihren sinnlosen Wiederbelebungsversuchen fort, bis der Notarztwagen vorfuhr.
    Es kündigte sich einer jener Sommertage an der Küste an, der Düsseldorfer Boutiquenbesitzer dazu brachte, ihre Fincas auf Mallorca zu verkaufen und an die Nordsee zu ziehen.
    So aufgewühlt hatte Ubbo Heide Ann Kathrin Klaasen noch nie erlebt. Er zerkaute zwei Kompensan gegen die Säure, die seinen Magen flutete wie das Meer den verschlickten Norddeicher Hafen.
    Heide musste aufstoßen. Es war ihm peinlich, denn er wusste, dass er jetzt unangenehm aus dem Mund roch. Kaffee oder Ostfriesentee vertrug er schon lange nicht mehr. Kripochef in Aurich, das hörte sich für Außenstehende nach einem ruhigen Job an. Nach Falschparkern, Fahrraddiebstählen und höchstens mal einer aufgebrochenen Ferienwohnung. Bei seinem letzten Urlaub in der Fränkischen Schweiz hatte seine Frau einer Urlaubsbekanntschaft stolz erzählt, ihr Mann sei Leiter der Mordkommission. An den ungläubigen Blicken konnte Ubbo Heide unschwer ablesen, dass die gute Dame bezweifelte, dass es in Ostfriesland überhaupt eine Mordkommission gab.
    Seine Abteilung war für alle Verbrechen gegen den Körper zuständig. Das machte Sinn. Ein Mord geschah nicht einfach aus heiterem Himmel, es gab meistens ein Vorspiel. Ein Ehemann, der dreimal wegen häuslicher Gewalt festgenommen worden war, galt als Hauptverdächtiger, wenn seine Frau eines Tages erschlagen in der Wohnküche vor der defekten Spülmaschine gefunden wurde.
    Seine Klienten zu kennen galt als Ubbo Heides Erfolgsrezept. Seine Abteilung war sehr erfolgreich, und das von Norddeich über Aurich, Wittmund, bis zu den Inseln Norderney, Baltrum, Juist, Langeoog und Spiekeroog.
    Es gab bequemere Orte für Gewaltverbrecher in der Republik als Ostfriesland.
    Ann Kathrin Klaasen war eine schwierige Kollegin, überengagiert und manchmal eigensinnig bis zur Verbohrtheit, wenig
teamfähig, leicht verletzlich und für Heides Geschmack viel zu sensibel.
    Man durfte in diesem Beruf die Dinge nicht zu nah an sich herankommen lassen! Heide hatte schon einige junge Frauen erlebt, die zwischen Mitleid, Betroffenheit und Ohnmacht aufgerieben worden waren.
    Ann Kathrin Klaasens flackernder Blick signalisierte Ubbo Heide, dass er vorsichtig sein musste. Die Dienstbesprechung geriet mehr zur Therapiestunde.
    Er war solche Situationen durchaus gewöhnt. Es ging jetzt erst einmal darum, die emotionale Luft aus den aufgeblasenen Problemen zu lassen. Die Kollegin brauchte Hilfe, um auszusteigen aus dem Hamsterrad, in dem sie sich befand, um Sachargumenten zugänglich zu werden.
    Am Ende würde die Professionalität siegen. Allerdings sah das hier nach einem langen Weg aus, und er hatte noch nicht gefrühstückt.
    Er seufzte und berührte das Foto seiner Tochter auf seinem Schreibtisch. Sie wollte in London studieren. In London! So weit weg von ihm, sein Augenstern.
    Ann Kathrin Klaasens nachblondierte Haare waren schockartig strähnig und fettig geworden, als ob die

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