Ostsee-Storys
gefunden mit einer Nachricht in Geheimsprache (die sich später leider nur als simpler Feriengruß eines dänischen Mädchens von der Insel Falster entpuppen wird), teilt er sogleich meine Begeisterung und erzählt mir, auch er habe als Junge einmal, ein paar Monate nur vor Beginn des Ersten Weltkrieges, in Travemünde eine Flaschenpost gefunden mit einer Postkarte drin, einer aufgerollten Ansichtskarte von der berühmten Karlsbrücke in Prag. Und auf der Karte habe eine Adresse gestanden, eine Prager Adresse, an die der Finder sie wohl zurückschicken sollte. Dazu aber habe er sich nicht durchringen können. Stattdessen habe er sich von seiner Mutter die gerollte Karte mit dem Bügeleisen plätten lassen und sie jahrelang in einem seiner Karl-May-Bücher versteckt, um sie vor dem Zugriff seiner Geschwister zu schützen, wild entschlossen, irgendwann in seinem Leben einmal höchstpersönlich in Prag vorbeizugehen und die Karte beim vorgesehenen Empfänger abzuliefern. Daraus sei aber leider nie was geworden, und die Karte habe er ohnehin irgendwann während des Krieges verloren.
Auf einem alten Atlas zeigt mir mein Opa jetzt den Weg, den seine Flaschenpost damals genommen haben muss von der Reling der Karlsbrücke , wie er es ausdrückt, bis an den Strand von Travemünde: In Prag, platsch, rein in die Moldau, dann mit der Strömung direkt in die Elbe, runter durch Dresden, vorbei an Magdeburg und dann bei Lauenburg entweder durch den Elbe-Trave-Kanal bis Lübeck und weiter die Trave runter bis zur Mündung oder doch erst noch an Hamburg vorbei und dann bei Brunsbüttel durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal bis Kiel oder – auch das eine Möglichkeit – ganz, ganz oben rum um Nordjütland durch den Skagerrak, den Großen oder Kleinen Belt bis in die Lübecker Bucht genau vor die Füße des Empfängers am Strand von Travemünde.
An der Darstellung meines Opas hatte ich damals natürlich nicht den geringsten Zweifel und hätte die Angelegenheit auch bestimmt schon längst vergessen, wenn ich nicht jüngst beim Lesen der Tagebücher Franz Kafkas auf dessen Notizen aus dem Sommer 1914 gestoßen wäre, als er nämlich einen Tag lang in Travemünde spazieren gegangen ist, dort einem Kurkonzert gelauscht hat und barfuß am Strand unterwegs war. Es könnte ja durchaus sein, dass er, der Binnenländer und begeisterte Sportschwimmer, diese Gelegenheit spontan dazu genutzt hat, eine zufällig in seiner Tagebuchkladde liegende Ansichtskarte aus seiner Heimatstadt Prag mit der Anschrift seiner dort lebenden Familie zu versehen und sie so zu rollen, dass sie durch den Hals seiner gerade ausgetrunkenen Wasserflasche passte, die er nun nur noch verstöpseln musste, um sie sodann als Flaschenpost der Ostsee zu übereignen, die sie allerdings nur wenig später wieder ausspuckte, wo der Junge, mein späterer Opa, sie schließlich am Strand finden sollte.
Wie es sich wirklich zugetragen hat? Nun, wer wollte dafür schon seine Hand ins Feuer legen? Die Wahrscheinlichkeit, dass die Flasche tatsächlich einen Wasserweg von der Prager Karlsbrücke bis nach Travemünde zurückgelegt haben könnte, dürfte nicht unbedingt höher liegen als jene meiner Kafka-Variante. Und selbst wenn mein Opa recht gehabt haben sollte: Wer sagt denn, dass es nicht Franz Kafka gewesen ist, der die Buddel in die Moldau geworfen hat?
Unter Segeln
U nd dein Bruder merkt das wirklich nicht, wenn wir uns sein Boot ausleihen?, frage ich Höltzmann, der schon die Persenning von der kleinen Jolle zurrt. Ach was, der merkt doch überhaupt nix, solange er mit seiner blöden Freundin zugange ist . Sein Bruder ist nämlich schon sechzehn . Fass lieber mal mit an und schieb! Höltzmann wohnt in Schlutup, genau an der Grenze, von Travemünde aus ein ganzes Stück flussaufwärts, gegenüber dem Metallhüttenwerk, dessen Hochofen nach Einbruch der Dunkelheit manchmal richtig Feuer spuckt und faucht wie ein Vulkan. Das Problem ist: Man muss höllisch aufpassen, nicht an das östliche Ufer der Schlutuper Wiek zu geraten, wo im Ufergestrüpp die Vopos lauern und nur darauf warten, dass hier jemand an Land geht. Ich will auch mal an die Pinne, sage ich zu Höltzmann, und wir tauschen unsere Plätze. Es ist eine wunderbare Brise aufgekommen, und wir kreuzen rum wie die Irren. Höltzmann hängt über Bord und hat sich bei meiner letzten Wende einen nassen Arsch geholt. Wir können vor Lachen kaum noch Luft kriegen. Doch dann, plötzlich, bleibt sie uns auf einen Schlag ganz weg:
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