Ostsee-Storys
Wallgrabens in Bremen schleisterte und dabei also auch wieder an meine Urgroßeltern denken musste, war ich für einen Moment versucht, ihr von deren Schicksal zu erzählen, verzichtete aber darauf, weil ich es ihr ersparen wollte, von nun an immer dann, wenn sie eine Eisfläche betreten würde, an ihre Ururgroßeltern denken zu müssen.
Auf dem Leuchtenfeld
Ich bin vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, als ich eines Sommers auf dem Leuchtenfeld in Travemünde einen dort in der Sonne geparkten britischen Schützenpanzer erspähe. Auf der Motorhaube hat sich ein Soldat, der hier offenbar Wache halten soll, der Länge nach ausgestreckt, das Barett als Sonnenschutz über Stirn und Augen geschoben. Ich fasse allen Mut zusammen und sage, so laut ich kann: How do you do?, worauf der Soldat, als sei er plötzlich unter Feuer geraten, hochfährt und mir seine Kopfbedeckung genau vor die Füße fällt. Als ich sie ihm, bis in die Zehenspitzen gereckt, auf seinen Panzerwagen hinaufreiche, sagt er: Thank you, my boy! , was ich zu meiner Verblüffung und unfassbaren Freude Wort für Wort verstehen kann. Goodbye! rufe ich nun meinerseits und sehe schnell zu, dass ich davonkomme, weil mir in diesem Moment bewusst wird, dass ich soeben bereits meinen gesamten englischen Sprachschatz verjubelt habe.
Sprachbarrieren
Meine Lübecker Großmutter, die aus Hamburg stammte und ausschließlich Deutsch und Plattdeutsch sprach, hatte im Laufe ihres Lebens eine Methode entwickelt, überraschend auftretende Sprachbarrieren im Umgang mit anderszungigen Besuchern durch eine akkurat je nach Herkunft der Gesprächspartner und -partnerinnen abgestufte Anhebung der Lautstärke ihrer eigenen Äußerungen zu überwinden.
Kam ein Gast aus Schweden, wie ihre eigene, aus der Gegend von Ystad stammende Schwiegermutter, aus Dänemark, wie eine angeheiratete Tante, oder aus einem anderen Ostseeanrainerland, so hob sie ihre Stimme nur ganz leicht, als hätte sie es beispielsweise mit einem Bayern, Schwaben, Schweizer oder Österreicher zu tun. Saßen oder standen ihr Südeuropäer gegenüber, wurde sie merklich lauter in dem, was sie sagte, während Besucher aus Indien, den USA oder überhaupt von anderen Kontinenten geradezu angeschrien wurden, wenn sie ihnen eine Scheibe ihres fabelhaften Sandkuchens oder ein Stück Lübecker Marzipantorte anbot. Kurzum: je weiter das Herkunftsland eines Gastes entfernt lag, desto lauter glaubte sie sprechen zu müssen. Sie war einfach fest davon überzeugt, dass Verständigungsprobleme einzig und allein eine Frage der Lautstärke seien und die Tatsache, dass keiner der Besucher und Besucherinnen es jemals gewagt hatte, eines der offerierten Kuchenstücke zu verschmähen, gab ihr letztendlich recht.
Die Verständigung mit meinem schwerhörigen Großvater, der ihr ja immerhin sprachlich gleichgestellt war, gestaltete sich da schon wesentlich schwieriger, aber das hatte oft weniger mit der Lautstärke zu tun und gehört hier nicht hin. Sandkuchen und Marzipantorte nahm er allerdings auch liebend gern wortlos entgegen.
Petri Heil!
In Travemünde, dort, wo das süße Wasser der Trave sich brackig mit dem salzenen der Ostsee vermischt, durfte man, als ich noch zur Schule ging, an den geraden Kalendertagen vom einen und an den ungeraden vom anderen Ufer die Angel auswerfen.
Mein Opa, der Lübecker Schneider, war ein leidenschaftlicher Angler, der sich nachts, wenn die Parkwächter längst schliefen, mit der Taschenlampe und einer Schaufel auf den Weg machte, um auf – oder besser: unter – den öffentlichen Grünflächen nach Regenwürmern zu buddeln. Gewöhnlich hatte er außerdem im Hinterhof des Wohnhauses, sehr zum Verdruss meiner Oma, ein oder zwei tote Fische ausgelegt, um die Fliegen anzulocken, aus deren Eiern planmäßig Maden hervorgingen, die dann später an seinen Angelhaken endeten.
In der Travemündung jedenfalls konnte man an einem guten Tag, ob der nun ungerade oder gerade sein mochte, recht erfolgreich sein: Scholle, Dorsch, Knurrhahn, manchmal Aal, eher selten Makrele gingen an den Haken. Mitunter aber fing man auch rein gar nichts. Das war ärgerlich. Aber nicht schlimm, denn um nicht von meiner Oma ausgelacht zu werden, gab es ja immer noch die Möglichkeit, auf dem Nachhauseweg im Fischladen vorbeizugucken und dort ein oder zwei angeblich selbst gefangene Exemplare käuflich zu erwerben.
Schlimmes ist nur ein einziges Mal passiert: Als mein Opa den frischen Köder auf den Haken gezogen
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