Ostseefluch
Mutter?«
»Milena hat sie beinahe noch mehr gehasst als ihren Vater. So richtig ›Kinder, Küche, Kirche‹, die Frau. Nur dass die Kirche an erster Stelle kam und das einzige Kind darüber vergessen wurde.«
»Können Sie die Konflikte zwischen Eltern und Tochter konkretisieren?«, fragte Gerlach.
»Milena sollte in eine Form gepresst werden: Schulabschluss, dann eine Ausbildung, irgendwas mit Pflanzen, klar, ganz wie der Vater es sich wünschte. Es war der Horror für sie. Sie hat den Druck und die Schikanen irgendwann nicht mehr ausgehalten und diese sogenannte Lehre abgebrochen. Daraufhin haben ihre Eltern sie nicht mehr unterstützt. Bevor sie hier ankam, war Milena quasi obdachlos. Zum Glück hat der Patrick sie gefunden und mit hergebracht. Sie kannte das Haus hier aus der Zeit, als sie noch bei ihren Eltern in Weschendorf gewohnt hat. Es war für sie fast so, wie nach Hause zu kommen. Ich konnte nicht anders, ich musste ihr Unterschlupf gewähren. Oder hätte ich ihr etwa meine Hilfe verweigern sollen?«
»Wissen Sie, wie alt sie war?«
»Achtzehn.«
»Auch schon, als sie hier ankam?«
Irma Seibel presste die Lippen zusammen.
»Das wäre dann wohl eher ein Fall für das Jugendamt gewesen«, sagte Gerlach.
Irma Seibel griff wieder zu ihrer Handarbeit und stach die Nadel in das Gewebe. »Genau das wollte ich ihr ersparen. Drei Wochen später war sie ja volljährig.«
»Wo ist ihr anderer Mitbewohner, Arne Klaasen?«, fragte Pia. Sie wollte das Thema Minderjährigkeit erst mal außen vor lassen.
»Der Arne arbeitet«, antwortete Irma Seibel knapp. Sie fädelte die Nadel durch die vorbereiteten, parallel verlaufenden Fäden. Oben, unten, oben, unten.
»Und wo genau?«
Die Nadel verharrte über dem Stopfei. Irma Seibel sah Gerlach herausfordernd an. »Ich weiß es nicht.«
»Wie können wir ihn erreichen?«
»Gar nicht. Er ist auf einer Baustelle. Irgendwo auf der Insel, nehme ich an. Er hat den Pritschenwagen mitgenommen.«
»Wann kommt er ungefähr zurück?«
Sie zog nur eine ihrer dichten Augenbrauen hoch.
»Dann erwarten wir ihn morgen früh um neun im Kommissariat in Lübeck«, sagte Pia und legte ihre Karte auf den Tisch. »Er sollte vorher aber noch mal anrufen und sich den Termin bestätigen lassen.«
»Ich bin nicht Ihr Büttel«, entgegnete Irma Seibel.
»Aber Sie sind daran interessiert, dass der Mord an Milena Ingwers aufgeklärt wird, oder?«
Irma Seibel starrte sie wütend an. Dann nickte sie.
Pia erhob sich. Auf dem Weg zur Tür drehte sie sich in Columbo-Manier noch einmal um. »Bevor wir es vergessen: Wo waren Sie heute Vormittag, Frau Seibel?«
»In meinem Laden in Burg. Ich habe ein eigenes Geschäft, um das ich mich kümmern muss.«
»Und wann waren Sie wieder hier?«
»Patrick hat mich angerufen, nachdem er die Polizei informiert hatte. Er war total aufgelöst. Da hab ich den Laden abgeschlossen und bin sofort hergefahren.«
»Dann ist ja alles geklärt. Wenn Sie in Ihrem Geschäft waren, lässt sich das sicher nachprüfen«, sagte Gerlach.
»Kaum. Es war nicht viel los heute.« Sie starrte aus dem Fenster, die Augenbrauen zusammengezogen, die Lippen nur noch ein schmaler Strich. Dann fragte sie: »Was soll eigentlich das Zelt da in meinem Garten? Wollt ihr hier etwa übernachten?«
»Es ist zum Schutz aufgestellt worden, damit keine Spuren vernichtet werden, falls das Wetter umschlägt.«
»Spuren ... Meint ihr, da ist irgendwas zu sehen, so trocken wie der Boden ist?«
»Es geht nicht nur um Fußspuren.«
Sie schien einen kurzen Moment darüber nachzudenken. Dann sagte sie: »Meinetwegen könnt ihr das Zelt hierlassen, wenn ihr fertig seid. Ich brauch noch was, um Zoes Sandkiste zu beschatten.«
3. Kapitel
I n Weschendorf stand Hauptkommissar Heinz Broders vor dem Haus, dessen Adresse Patrick Grieger als die von Milena Ingwers’ Eltern angegeben hatte. Es handelte sich um einen Bungalow aus den Achtzigern: parkähnliches Grundstück, ein Extra-Häuschen für die Doppelgarage, schneeweißer Kies auf der Zufahrt. Broders kam nicht umhin, die kunstvoll gestutzten Buchsbäume zu bewundern. Spindeln, Kegel und ein ... ja, ein zum Sprung ansetzender Gepard waren zu erkennen. Broders fand es befriedigend, wenn die Natur sich ihm so gebändigt präsentierte. Als hätte der Mensch alles im Griff. Nun, in diesem Garten schien das so zu sein. Chaos und Willkür waren Broders verhasst.
Er konzentrierte sich wieder auf sein Vorhaben. Wohnten hier tatsächlich die
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