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Ostseefluch

Titel: Ostseefluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Almstädt
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Vorgarten zierten rätselhafte Objekte, von Skulpturen aus rostigen Eisenstangen über Arrangements aus eingefärbten Betttüchern bis hin zu Stapeln von Altreifen. Kleine Tafeln mit Sinnsprüchen oder kurzen Gedichten hingen aufgereiht am Zaun.
    Die Tote befand sich im hinteren Teil des Gartens, hatte ihr der Kollege gesagt.
    Pia war früh dran, sodass sie den Kollegen von der Schutzpolizei noch beim Absperren helfen musste. Da außer einem wild wuchernden Holunderbusch keine Möglichkeiten zum Befestigen des Absperrbandes vorhanden waren, mühte sie sich ab, ein paar Metallstäbe in die hart gebackene Erde zu treiben. Bei dieser Aktion konnte sie das Opfer recht gut sehen. Die Frau lag mit dem Gesicht nach unten in einem Beet. Sie war offenbar recht jung. Glatte, helle Haut, noch etwas Babyspeck an Oberarmen und Schenkeln, schwarz gefärbtes, schulterlanges Haar, das am Ansatz, dort, wo es nicht blutverkrustet war, hell schimmerte. Die Todesursache war dem ersten Augenschein nach die massive Kopfverletzung, die Pia selbst auf mehrere Meter Entfernung noch gut erkennen konnte. Es sah so aus, als hätte ein scharfkantiger Gegenstand dieses Loch im Schädel der Frau verursacht. Pias Blick wanderte weiter: keine sichtbaren Abwehrverletzungen an den Armen. Die Hände sahen weich und kindlich aus; die Fingernägel waren bis aufs Fleisch abgekaut und teilweise von splitterndem, schwarzem Nagellack bedeckt. Die Frau trug ein Rippentop aus grauer Baumwolle, dessen Träger ihr über die Schultern gerutscht waren, darunter einen schwarzen BH. Auf ihrem rechten Schulterblatt prangte ein Tattoo, das eine Art geflügelten Drachen darstellte. Die zu knappen Shorts abgeschnittenen Jeans verdeckten kaum den Schritt der Toten. So, wie sie mit gespreizten Beinen dalag, war für jedermann sichtbar, dass sie nur einen schwarzen String darunter trug. Einen kurzen Moment dachte Pia, dass es dem Opfer sicher zuwider wäre, so schutzlos den Blicken von Fremden ausgesetzt zu sein. Der Tod hatte sie überrascht und vollkommen hilflos zurückgelassen.
    Pia riss sich zusammen. Sie hatte hier ihren Job zu erledigen. Das einzig Sinnvolle, das sie für die junge Frau noch tun konnte, war, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.
    »Kein schöner Anblick«, sagte Michael Gerlach, als Pia das restliche Absperrband zurück zum Einsatzwagen brachte. Ihr Kollege musste gerade erst angekommen sein, denn sein Hemd war noch blütenrein, und sein halblanges Haar sah aus wie frisch geföhnt.
    »Das ist es doch nie.« Pia wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn.
    »Was hältst du von der Umgebung?«
    Der verwahrloste Garten ging übergangslos in eine Art Wildnis über. Pia zuckte mit den Schultern. »Nicht Fisch und nicht Fleisch. Schwer zu sagen, ob die Frau in ihrem privaten Umfeld oder im öffentlichen Raum getötet worden ist. Immer vorausgesetzt, dass der Fundort der Leiche überhaupt der Tatort ist.«
    »Streng betrachtet, ist es ein Privatgrundstück«, sagte Gerlach und zog ein Papiertaschentuch hervor. Auch er schwitzte also. Das war irgendwie beruhigend.
    »Nur dass Hans und Franz hier entlanglatschen und die holde Maid im Garten haben werkeln sehen können«, meinte Pia. »Also nicht ganz so privat.«
    »Du glaubst, sie hat bei der Hitze im Garten gearbeitet?« Er guckte ungläubig.
    »Sie hat zumindest Gartenclogs an den Füßen. Außerdem liegen neben der Leiche eine Harke und eine kleine Schaufel.« Pia kniff die Augen gegen das flirrende Licht zusammen. Die Sonne entzog der Landschaft jegliche Farbe. »Der Feldweg da drüben führt direkt am Grundstück entlang. Von dort konnte man die Frau im Gemüsebeet bestimmt gut sehen.«
    »Aber wer zum Teufel sollte bei diesem Wetter hier spazieren gehen?«
    »Stand vorn an der Abzweigung nicht was von ›Weg zum Strand‹?«, fragte Pia. »Ich kann das Meer schon fast riechen.«
    »Ich meine, ich rieche hier was anderes.« Gerlach verzog das Gesicht. »Wenn sie die Leiche nicht bald wegbringen, läuft sie uns von allein davon.«
    Pia nickte, wusste aber gleichzeitig, dass das ein frommer Wunsch war. Zunächst musste die Tote aus allen Blickwinkeln fotografiert und die Spuren rundherum gesichert werden. Es würde noch etwas dauern, bis man sie in dem bereitstehenden Leichenwagen wegbringen konnte. Und Pia wollte sich nicht ausmalen, wie heiß es in dem schwarz-silbernen Wagen des Bestattungsinstituts war, der schon eine Weile im gleißenden Sonnenlicht stand.
    Rund um den Fundort wuchs

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