Othello
mit sexuellen Konnotationen befrachtet. Es ist wohl nicht verfehlt, seine sexuell-sadistischen Phantastereien und Handlungen als Ausdruck einer Ersatzbefriedigung zu deuten, deren er als frustrierter Liebhaber bedarf. Auch sollte der Stellenwert dieses Motivs nicht zu gering veranschlagt werden, denn Iago stellt sich bereits in der ersten Szene des Stückes damit vor. Er ist es, der Brabantio mit sexuell-sadistischen Grobheiten um seinen Schlaf bringt, und er ist es, der hier und in II,1 als Unruhestifter die Liebesnacht zwischen Othello und Desdemona stört.
Zwischen Iagos sexueller Besessenheit als Symptom einer moralischen Korruption sowie seinem Einsatz sexueller Suggestionen zur Verführung Unschuldiger einerseits und der Schlangenmetaphorik des Stückes andererseits bestehen deutliche Bezüge. Emilia spricht im vierten Akt hypothetisch von »serpentâs curse« (IV,2,16), und Lodovico ruft am Ende nach dem Urheber des Unheils mit den Worten »Where is this viper?« (V,2,286). Othello selbst hatte bereits in seiner Beschwörung des Hasses von »aspicsâ tongues« (III,3,457) gesprochen: die Giftschlange Iago als Werkzeug des Teufels.
In der ihrer Ordnung beraubten Welt von Othello wird Gift zum Heilmittel und Iago zum Arzt. Nach Othellos Anfall in IV,1 bemühen sich Cassio und Iago um ihn. Während Cassio nur elementare Sanitäterdienste anbieten kann, stellt Iago eine scheinbar fundierte Diagnose. Andere FiÂguren, Cassio, Roderigo und Bianca, werden von ihm ebenfalls diagnostiziert, wie auch seine Beschreibung und Erklärung heterosexueller Beziehungen zunächst durch klinisch-rationale Nüchternheit gekennzeichnet ist. Es steigert die Tragik des Stückes, dass Dr. Iago nicht nur Othello zu seinen Patienten zählt, sondern auch Desdemona. Sie wendet sich in IV,2 verzweifelt an ihn und wird von ihm wie von einem Arzt beschwichtigt.
Als Typ hat Iago bestimmte dramatische Vorläufer. Da sind einmal die schablonenhaften Figuren »Devil« des Mystery Play und »Vice« des Morality Play. Zum anderen entdecken wir Anleihen beim macchiavellistischen Schurken, wie er uns etwa in Marlowes Jew of Malta begegnet. Als Inkarnation des Bösen ist Iago viel komplexer als seine Vorgänger; in seiner dramatischen Funktion als Bezugsperson ist er jedoch eng an das letztgenannte Vorbild angelehnt. Die eingangs erwähnte neue Gattung der âºjakobäischen Rachetragödieâ¹ kennt ebenfalls den macchiavellistischen Schurken, der sich und seine Intrigen dem Publikum offenbart. In Shakespeares eigenem Werk ist der macchiavellistische Typ deutlicher bei Richard III und Edmund (in King Lear ) ausgeprägt, denn beide streben nach politischer Macht und beide haben eine Philosophie. Iago hingegen hat nur die âºPhilosophie eines Krokodilsâ¹ (Flatter), das darauf bedacht ist, alles Höherstehende zu sich herabzuziehen. Es ist ein besonderes Merkmal dieser Tragödie von ShakeÂspeare, dass sie philosophisch kaum etwas zu bieten hat. Während die Titelfigur geistig anspruchslos ist, hat die Figur des die Ordnung nachhaltig störenden Schurken nur eine zynisch-materialistische Lebensphilosophie vorzuweisen, durch die die etablierten Normen nicht ernsthaft in Frage gestellt werden. Der philosophischen Durchdringung der anderen Tragödien entspricht hier eine umso gröÃere psychologische Tiefe, insbesondere in der Figur Iagos. Zwei Epitheta sind es, die uns bei dieser Figur besonders auffallen. Wie Heilman feststellt, hat Shakespeare die Bezeichnung »slave« fast ausschlieÃlich für Iago reserviert. Das relativ häufige Vorkommen des Wortes lässt den Schluss zu, dass Shakespeare dabei nicht nur das damals geläufige Schimpfwort (âºgemeiner Kerl, Hundâ¹) einsetzen wollte, sondern auch den weiteren konnotativen Bereich (Sklave = Mensch auÃer- und unterhalb der bestehenden Gesellschaft) einbezog. Die Juxtaposition »honest Iago« fiel bereits Shakespeares Zeitgenossen auf, was kaum verwunderlich ist, denn »honest« kommt mehr als fünfzigmal vor. Es ist kaum denkbar, dass Shakespeare »honest« rein denotativ verstanden wissen wollte. Vordergründig ist zweifellos die denotative Bedeutung âºehrlichâ¹ gemeint, denn die Juxtaposition kommt vorzugsweise dort vor, wo Täuschung und Selbsttäuschung besonders offenkundig sind. Vor allem ist es Othello, der im Augenblick des Getäuschtwerdens
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