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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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eines Gesichts abwenden konnte, das jetzt von dunklen Haaren wie von einer Aura umgeben war.
    »Ich gehöre hier nicht her!« Ihr unscharfer Blick schien Renie und ihre Gefährten wahrzunehmen. »Es schmerzt mich hierherzukommen! Ihr aber ruft mich – ihr beschwört meine schlimmsten Albträume herauf!«
    »Wer … wer bist du?« Florimels Stimme war kaum vernehmbar, so als ob jemand ihr mit starken Fingern den Hals zudrückte.
    »Er schläft jetzt – der Eine, der Anders ist –, doch er träumt von euch. Aber die Dunkelheit durchweht ihn. Der Schatten wird größer.« Einen Moment lang wurde das Gesicht so gut wie unsichtbar; als es wieder erschien, war es so schwach, daß die Augen wenig mehr als kohlschwarze Punkte im blassen Oval ihres Gesichtes waren. »Ihr müßt die andern finden. Ihr müßt zu Ilions Mauern kommen!«
    »Was bedeutet das?« fragte Renie, die endlich ihre Stimme wiederfand. »Welche andern?«
    »Dahin! Der Turm! Alles dahin!« Das Gesicht verwehte wie eine vom Sturm zerrissene Wolke. Gleich darauf war nur noch die rechteckige Öffnung des Fensters da, eine klaffende Wunde im Fleisch der Nacht.
     
    Es dauerte lange, bis Renie wieder etwas fühlte. Die eisige Kälte war fort, und an ihrer Stelle spürte man nur noch den nicht ganz so frostigen Hauch des Windes, der um die Türme strich. Draußen war aus Abend Nacht geworden; das einzige Licht, das in dem hohen Saal noch brannte, war das unstet flackernde Ölfeuer.
    Der Räuberhauptmann Viticus saß auf dem Boden, wie von einer Bö umgeblasen, und sein geschminktes Gesicht war vor Bestürzung ganz lang. »Das … das passiert sonst nicht«, sagte er leise. Die meisten Banditen waren geflohen, die noch übrigen hatten sich in flehenden Posen bäuchlings niedergeworfen. Viticus drückte sich auf seine zitternden Beine hoch und staubte mühsam beherrscht die Kniehosen ab. »Ich halte es für wahrscheinlich, daß wir nie wieder hierherkommen«, sagte er und schritt so würdevoll wie möglich zur Tür, jedoch mit angezogenen Schultern, als erwartete er einen Schlag. Er blickte sich nicht noch einmal um. Als er hinausging, rappelten sich die restlichen Speicherspinnen auf und hasteten hinter ihm her.
    !Xabbu zupfte Renie am Arm. »Geht es dir gut?«
    »Einigermaßen, denke ich.« Sie schaute nach den anderen. Florimel und T4b saßen auf dem Boden, und Factum Quintus führte auf dem Rücken liegend Selbstgespräche, aber Emily lag als schlaffes Bündel vor der gegenüberliegenden Wand, unter einem der zerbrochenen Fenster. Renie eilte zu ihr und vergewisserte sich, daß das Mädchen noch atmete.
    »Sie ist bloß ohnmächtig, glaube ich«, rief Renie den anderen über die Schulter zu. »Das arme Ding.«
    »Ilions Mauern, was?« Hideki Kunohara hockte mit entrückter Miene im Schneidersitz unter dem rohen Abbild der Mutter. »Ihr seid tatsächlich im Zentrum der Geschichte, wie es aussieht.«
    »Was redest du da?« fuhr ihn Florimel an, die langsam ihre Fassung zurückgewann. Sie trat neben Renie zu Emily, und gemeinsam drehten sie das Mädchen in eine etwas bequemere Lage. »Das bedeutet Troja, nicht wahr? Die Festung des Königs Priamos, den Trojanischen Krieg – bestimmt wieder eine von diesen verdammten Simulationen. Was sagt dir das, Kunohara, und was meinst du mit ›Zentrum der Geschichte‹?«
    »Ich meine die Geschichte, die sich überall um euch herum abspielt«, antwortete er. »Die Madonna ist erschienen und hat euch gerufen. Ziemlich eindrucksvoll, das muß sogar ich zugeben. Ihr werdet im Labyrinth erwartet, nehme ich an.«
    »Labyrinth?« Renie schaute von Emily auf, die Anzeichen machte, wieder zu sich zu kommen. »Mit dem Minotauros und so?«
    »Das war im Palast des Minos, auf Kreta«, sagte Florimel. »In Troja gab es kein Labyrinth.«
    Kunohara kicherte, aber es war kein besonders liebenswerter Ton. Wieder fühlte Renie etwas Abnormes an ihm, eine fiebrige Wildheit. Sie hatte angenommen, es sei der Schnaps, aber vielleicht war es etwas anderes – vielleicht war der Mann schlicht und einfach wahnsinnig. »Wenn ihr so viel wißt«, sagte er, »dann könnt ihr vielleicht eure ganzen Fragen selber beantworten.«
    »Nein«, erwiderte Renie. »Tut uns leid. Aber wir sind verwirrt und erschrocken. Wer war diese … diese …?« Sie deutete auf das Fenster, in dem das Gesicht erschienen war.
    »Das war die Madonna der Fenster«, sagte Bruder Factum Quintus hinter ihr mit ehrfurchtsvoller Stimme. »Und ich dachte, ich hätte heute schon

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