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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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erschienen war. Aber jetzt hatte er sich einmal darauf eingelassen, und langsam ging ihm die Energie aus; auch wenn er damit möglicherweise das Schicksal seiner Freunde gefährdete, konnte er nicht ewig mit diesem Spionspielen weitermachen. Von einem tiefen Fatalismus erfaßt sagte er: »Okay, gut, also hinterher, als es keine Harfe mehr war, war es … war es da immer noch golden?«
    »Ja.« Es war, als deckte jemand in einem Spiel mit hohem Einsatz eine Karte auf. »Ja. Es war ein … ein kleines, goldenes Ding.«
    »Dsang! Genau wie Sellars sie ausgestreut hat!« sagte Fredericks aufgeregt.
    »Fredericks!« Orlandos Haut wurde eiskalt. Er drehte sich wieder um, doch der Fremde war nicht im Begriff, sich mit einem höhnischen Grinsen im Gesicht drohend vor ihm aufzubauen. Er wirkte vielmehr noch verwunderter als vorher.
    »Sellars?« Seine Verwirrung war nicht gespielt. »Wer ist Sellars?«
    Orlando starrte ihn an und überlegte, wie er sich versichern konnte, daß dies kein Trick war. »Schauen wir mal, ob wir dasselbe meinen. Also, jemand hat dir eine Harfe gegeben oder eine Harfe gezeigt, und nachdem sie dir eine Botschaft übermittelt hatte, verwandelte sie sich in ein kleines goldenes … was?«
    Der Fremde ließ sich seinen inneren Zustand nicht anmerken, aber er brauchte eine ganze Weile, bis er antwortete. »Ein Juwel. Wie ein Diamant, aber aus Gold, und mit einer Art Licht drin.«
    Eine Welle der Erleichterung überkam Orlando. Entweder die Bruderschaft ging bei der Jagd auf Sellars’ Leute unglaublich umständlich vor, oder der Fremde war selber einer. »Ein Juwel. Genau das haben wir auch gefunden.«
    »Ich bin ganz durcheinander«, sagte Odysseus. »Habt ihr … Wie habt ihr eures bekommen? Ich dachte, ich wäre der einzige, der … Ich dachte, es gäbe sonst keinen wie mich.«
    »Nein, es gibt durchaus mehrere.« Ein kummervoller Gedanke flackerte jäh in ihm auf. »Wenigstens gab es mehrere. Aber aus irgendeinem Grund bist du nicht in die goldene Stadt durchgekommen und hast sie deshalb nicht kennengelernt und Sellars auch nicht.«
    »Goldene Stadt?« Er schüttelte ratlos den Kopf. »Ihr habt zweimal den Namen ›Sellars‹ erwähnt. Kannst du mir sagen, wer das ist?«
    Orlando überlegte einen Augenblick. »Wurde dir in deiner … Botschaft sonst noch was mitgeteilt?«
    Der Mann, den sie als Odysseus kannten, zögerte, dann rezitierte er: »›Wenn du das gefunden hast, bist du entkommen. Du warst ein Gefangener und befindest dich nicht in der Welt, in der du geboren wurdest.‹« Er runzelte nachdenklich die Stirn. »So ungefähr. Ich hätte es mir Wort für Wort einprägen sollen«, meinte er entschuldigend, »aber … na ja, es ging alles ziemlich drunter und drüber.«
    »War das alles?«
    »Nein. ›Nichts um dich herum ist wahr, aber trotzdem kann das, was du siehst, dich verletzen oder töten. Man wird dich verfolgen, und ich kann dir nur in deinen Träumen helfen …‹«
    »Träume …«, sagte Orlando. Er fühlte, wie sich ihm wieder die Nackenhaare aufstellten, diesmal vor banger Erregung. »In Träumen …?«
    »›Die andern, die ich dir schicke, werden auf dem Fluß nach dir suchen. Sie werden dich erkennen, wenn du ihnen sagst, daß die goldene Harfe zu dir gesprochen hat.‹« Der Fremde schwieg ein Weilchen. »Sagt euch das irgendwas?«
    »Heißt du Jonas?« fragte Orlando plötzlich.
    Im ersten Moment dachte er, der bärtige König von Ithaka würde zur Tür hinausspringen und in die Nacht flüchten. Die Augen des Fremden wurden groß und glänzend, ein Hirsch, der aus dem Gehölz in den Lampenstrahl eines Jägers trat. Dann sah Orlando, daß sie deshalb glänzten, weil sie sich mit Tränen füllten.
    »Mein Gott«, sagte er leise. »Ja, ich bin Paul Jonas. O lieber Himmel. Seid ihr gekommen, um mich hier rauszuholen?«
    »Es ist Jonas!« rief Fredericks aufgeregt. »Dsang, Gardiner, wir ham’s geschafft! Das ist absolut megachizz!«
    Orlando aber sah die Hoffnung im Gesicht des bärtigen Mannes leuchten, und ihm war klar, wenn der Fremde entdeckte, wer ihn da gefunden hatte und wie machtlos sie selber waren, würde ihm dieser grausame Augenblick der Zuversicht leid tun.
     
    Als der Gesprächsfluß schließlich zu versiegen begann, setzte sich Paul Jonas auf seinem Hocker zurück. »Du siehst müde aus«, sagte er zu Orlando. »Wir haben die ganze Nacht durchgeredet und könnten noch stundenlang weiterreden, aber besser wär’s, wenn wir uns alle ein Weilchen schlafen

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