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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Trojaner vielleicht in wenigen Stunden eure Schiffe in Brand.«
    Orlando betrachtete ihn, als er zur Tür schritt. Nach seiner eigenen Darstellung war Paul Jonas ein Niemand, ein Angestellter in einem Museum, ein Mensch, dessen Wochenendbeschäftigung es war, Regale zusammenzubauen und die Zeitung zu lesen. Aber jetzt ging er geradewegs in eine mörderische Schlacht und riskierte sein Leben, weil er das Kräfteverhältnis so lange im Gleichgewicht halten wollte, bis er Antwort auf seine Fragen hatte.
    Orlando hoffte inbrünstig, daß er nicht gerade Zeuge war, wie ein sehr tapferer Mann in den Tod zog.
     
     
    > Obwohl sie jetzt seit über einer Woche in den Staaten war und schon vor Tagen die alte Mason-Dixon-Linie überquert hatte, wurde es Olga Pirofsky erst in Georgia endlich spürbar, daß sie sich tatsächlich in einem anderen Land aufhielt.
    Es gab dafür keinen offensichtlichen Grund. Sicher, der Osten der USA war bisher von Kanada kaum zu unterscheiden gewesen – bis weit nach Süden entsprach das äußere Bild dem Märchen von der nordamerikanischen Einheit –, aber es gab auch keinen großen Unterschied zwischen Atlanta und den großen Städten im Norden, die sie kannte, sei es Toronto oder New York. Nur an dem berühmten roten Lehm, den Stellen mit der eigenartigen lachsfarbenen Erde, die zwischen dem Pflanzengrün zutage lagen wie langsam verheilende Wunden, erkannte sie, daß die gesichtslosen, großbürgerlichen Vororte nicht die ihrer Heimat waren und daß die aus allen Nähten platzenden Obdachlosenlager abseits der Hauptstraßen von Leuten aus Georgia und nicht aus Pennsylvania oder gar Kanada bevölkert waren.
    Wenn es etwas gab, woran man eine wirkliche Veränderung festmachen konnte, dann waren es die atmosphärischen Untertöne. Es waren die unausgesprochenen Überzeugungen der örtlichen Rundfunksprecher, die leicht aggressive Tendenz der religiösen Werbesprüche auf Wänden und Reklametafeln und sogar die leuchtenden holographischen Kundenfänger, grellbunte Jesusbilder wie auch weltlichere, aber genauso magische Figuren – Chicken Boy, Hungry Hillcat, The Price-Killer –, die wie überirdische Erscheinungen neben den nächtlichen Freeways auftauchten und ein paar Herzschläge lang vor der dunklen Häusermasse blinkten, bevor sie im Rückspiegel verschwanden.
    Hast Du Gott heute schon gedankt? erkundigte sich eine neonrote Leuchtschrift an der Seite eines scheunenähnlichen Gebäudes, in dem Olga eine Kirche vermutete. Such die Wahrheit Jetzt! verkündete eine andere, die langsam an einer fünfzig Meter über dem Boden schwebenden Glaskonstruktion umlief wie die erste Proklamation eines extraterrestrischen Raumschiffs.
    Nicht alle diese dringenden Mitteilungen waren im Dunkeln zu lesen. Nach echter demokratischer Sitte ließen auch Leute, die sich nicht mehr als eine Farbsprühdose leisten konnten, die Welt wissen, was sie zu sagen hatten. Christus kam wieder, meldete ein krakeliges Graffito an einer Freeway-Überführung, und die Juden haben ihn nochmal gemordet. Sie vermutete, daß dahinter der Keever-Kult stand, dessen Führer zehn Jahre zuvor in Jerusalem erschossen worden war, als er versucht hatte, den Felsendom zu erobern.
    Olga war empfänglich für Stimmen geworden und hatte den Eindruck, in diesen Zeichen und Wundern Stimmen zu hören, die beinahe aus Träumen stammen konnten. Aus dunklen Träumen. Bedrückenden Träumen.
    Immer die Verlierer, schien es ihr, die Leute, denen etwas Wichtiges im Leben brutal genommen wurde – die klammem sich an Geheimnisse. Die glauben an Zeichen. Sie dachte an ihre Jugend unter Zigeunern und anderen Zirkusleuten zurück, an die seltsamen Sicherheiten dieser Menschen und ihr ständiges Ringen mit einem Universum, das sein Geheimnis hartnäckig wahrte. Aber diese Leute hier haben ihren Kampf schon vor zweihundert Jahren verloren. Sie sind jetzt reich und mächtig, modern. Wonach suchen sie noch?
    Wie es aussah, ließ sich die Trauer trotzdem nicht immer auf Knopfdruck abstellen.
     
    Sie war in Washington, D.C. aus dem Zug gestiegen, weil ihre eigenen Stimmen schwächer wurden. Sie wußte, daß sie in die richtige Richtung fuhr, wußte es, wie eine sonnenbadende Frau die Richtung der Sonne weiß, aber die Stimmen waren unbeständig und undeutlich geworden, als ob etwas sie erschreckte oder ablenkte. Die Vision der großen schwarzen Bergspitze erschien ihr immer noch im Schlaf, doch jetzt kam sie ihr oft nur wie eine Erinnerung aus den früheren

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