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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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auf »Lomey«, den letzten verzweifelten Versuch ihrer Mutter, um »Sam« herumzukommen. Aber Sam war sie und blieb sie, sobald sie alt genug war, sich damit durchzusetzen, und sie tat dies, indem sie gewaltlosen Widerstand leistete und schlicht auf nichts anderes reagierte.
    Ihr Vater, dem der Name Salome von Anfang an zuwider gewesen war, hatte fünfte Kolonne gespielt und ständig das seiner Frau gegebene Versprechen »vergessen«, Salome nicht mit diesem gräßlichen maskulinen Namen zu rufen, und schließlich hatte Enrica Fredericks sich geschlagen gegeben.
    Diese frühe Erfahrung hatte Sam vom Wert des schweigenden Ungehorsams überzeugt. Sie galt bei ihren Lehrern als gute, wenn auch nicht übermäßig motivierte Schülerin und bei ihren Freundinnen und Freunden als stilles, aber überraschend selbstbewußtes Mädchen. Viele ihrer Schulkameradinnen hatten schon mit Sex herumexperimentiert, bevor sie richtig ins Teenageralter gekommen waren. Sam Fredericks wußte nicht so recht, was sie von der Liebe wollen sollte – sie hatte eine Menge Gedanken und Phantasien, allesamt nicht sehr klar –, aber sie wußte sehr genau, was sie nicht wollte, und dazu gehörte auf jeden Fall, sich von irgendeinem der Jungen, mit denen sie zur Schule ging, begrapschen zu lassen. Auch Drogen hatten auf ihrem Radar keinen großen Impuls gegeben. Mehr als alles andere, mehr als gute Noten, als Anerkennung in ihrer Clique und als die aufregende Palette realer und virtueller Erlebnisse, die sich einem jungen Menschen ihres Alters bot, wollte Sam frei sein vom Zwang und Druck ihrer Eltern und ihrer Klassenkameraden, bis sie erwachsen war und selbst entscheiden konnte, was sie vom Leben wollte. Sie sah diese Schwelle in einer fernen, aber nicht unerreichbaren Zukunft kommen, vielleicht wenn sie sechzehn war oder so.
    Orlando Gardiner kennenzulernen hatte sie in mehrerlei Hinsicht verwirrt, wobei keine dieser Hinsichten einem selbstsicheren Mädchen wie Sam sofort klar war, einer, die leicht Freundschaften schloß, wenn auch nicht tieferer Art, die so gut Fußball spielte, daß sie zweimal zur Mannschaftsführerin gewählt worden war (und beide Male die Ehre abgeschlagen hatte), und die Lehrer mit dem Ernst ihrer Miene davon überzeugte, daß sie wahrscheinlich die richtige Antwort wußte, auch wenn das gar nicht stimmte, und sie dazu brachte, sich abzuwenden und ihr Lehrercharisma auf ein bedürftigeres Opfer zu verschwenden. Selbst in der Welt der Rollenspiele war Sam immer eine gutmütige Individualistin gewesen, nie eine Anführerin, nie eine Anhängerin, bis der Dieb Pithlit eines Tages in der kleinen Lotterkneipe »Zur Fuchtel«, einer der netteren Lokalitäten im Diebesviertel von Madrikhor, einem jungen Barbaren namens Thargor begegnete. Thargor, bereits eine sagenumwobene Figur in Mittland, kannte Pithlit ebenfalls dem Namen nach und hatte gehört, daß der schlanke Mann für einen Dieb ungewöhnlich vertrauenswürdig sein sollte, und da er gerade einen geübten Schloßknacker brauchte, weil er einen reichen Kriegerfürsten um ein paar Kleinigkeiten erleichtern wollte, bot er Sams Alter ego einen anständigen Prozentsatz an.
    Der Einbruch ging glatt, nachdem der Barbar drei unerwartete Wächter mit Bulldoggenköpfen und menschlichen Körpern aus dem Weg geräumt hatte, und danach hatte ihre Ad-hoc-Partnerschaft in weiteren Unternehmungen eine Fortsetzung gefunden.
    Ein Jahr später hatte Sam Fredericks mit Befremden festgestellt, daß Orlando Gardiner, ein Junge, den sie noch nie wirklich gesehen hatte, irgendwie ihr bester Freund auf der Welt geworden war und der einzige Mensch außer ihren Eltern, von dem sie ehrlich sagen konnte, daß sie ihn liebte – eine Phase leidenschaftlicher Verehrung von Pain Sister nicht mitgerechnet, einer der Musikerinnen und Heldinnen aus der Sendung PsychiActress, die Sam inzwischen trotz des vielen Taschengelds, das sie früher für Poster, Hologramme und Interaktivdramen ausgegeben hatte, nur noch als dummen Kinderkram ansah.
    Was Sam für Orlando empfand, war nicht die Art Liebe, die man in den ganzen Teeniesendungen im Netz sah – schon deswegen, weil sie anscheinend nichts mit Sex zu tun hatte. Selbst Pain Sister, die sich doch wie eine Comicfigur gebärdete, hatte bei Sam – schwach, aber immerhin – ein warmes Prickeln ausgelöst, aber diese Liebe jetzt war viel schwieriger einzuordnen. Ein- oder zweimal hatte sie natürlich daran herumgegrübelt, ob es die wahre Liebe sein könnte,

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