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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Schatten von Sykomoren sich anmutig tummelten, sangen und Datteln und andere Früchte verzehrten, die ihnen von jugendlichen Dienerinnen gereicht wurden.
    »Du magst dieses Zeug wirklich, was?« bemerkte Wells plötzlich.
    Jongleur, der vergessen hatte, wo er war, weil er von dem unmittelbar bevorstehenden Sieg über seinen so lange bekämpften Feind geträumt hatte – einen Feind, der viel älter und mächtiger war als Robert Wells –, schwieg einen Moment, um den gemessenen Ton wiederzufinden, mit dem er die Führung begonnen hatte. »Ja. Ja, ich mag ›dieses Zeug‹, Wells. Mehr noch, ich brauche es so dringend wie das Blut, das meinen physischen Körper am Leben erhält – beziehungsweise wie den Blutersatz, die ganzen Chemikalien, deren Namen ich mir nie merken kann.«
    Um mit Jongleur mitzuhalten, der wie eine Magnetschwebebahn die Rampe hinaufglitt, hatte Wells angefangen, eilige Schritte zu machen. Vor die Wahl zwischen zwei Entwürdigungen gestellt, entschied er sich für die geringere; gleich darauf schwebte er neben dem älteren Mann einher. »Du brauchst es dringend, sagst du?«
    »Ja. Weil die Welt zu klein ist.«
    Ein längeres Schweigen trat ein. Die gemalten Szenen glitten beiderseits vorbei, und Licht flackerte über die Gesichter der beiden Götter, das buttrig gelbe und das hellgrüne, dessen Farbe zwischen Fäulnis und pflanzlicher Wiedergeburt lag.
    »Sei so gut und erklär mir das.«
    »Die Welt ist zu klein für einen großen Glauben, Wells. Du und ich, wir haben den Rohstoff des Chaos genommen und haben daraus Imperien gebaut. Beide verfügen wir über mehr Macht als jemals ein Pharao, ein Herrscher von Babylon oder ein Kaiser von Rom. Wir haben alle Macht, die sie hatten. Wir heben einen Finger oder blinzeln mit einem Auge, und Menschen sterben. Auf unser Wort hin rücken Flotten aus, setzen sich Armeen in Marsch, werden Länder erobert, auch wenn die betreffenden Länder das manchmal gar nicht merken. Aber unsere Macht übersteigt die der Alten. Wir legen Meere trocken. Wir richten Berge auf, wo es vorher keinen Berg gab. Wir bevölkern das Firmament mit unseren selbstgebauten Sternen.« Er verstummte einen Moment, als ob ein Detail in der vorbeiziehenden Bilderwelt seine Aufmerksamkeit erregt hätte. »Bald werden wir etwas vollbringen, das selbst der erhabenste Monarch Ägyptens sich nur erhoffte, aber woran er nicht wirklich glaubte – denn wenn er daran glaubte, wieso ließ der große König es sich dann soviel Geld und Zeit kosten, seiner eigenen Unsterblichkeit Monumente zu bauen und die Götter um den Schutz seiner Seele anzuquengeln? Mich dünkt, der Pharao gelobt zuviel.« Ein kaltes Grinsen. »In einigen Stunden werden wir in Wahrheit Götter sein. Meßbar, faktisch, wissenschaftlich. Wir werden ewig leben. Unsere Macht wird nie vergehen.« Er nickte langsam, aber fuhr nicht fort.
    »Entschuldige, Jongleur, aber ich verstehe nicht ganz …«, hakte Wells nach einer Weile nach.
    »Was? Ach so. Ich will damit sagen, wenn du nicht wie ein Gott lebst, wirst du niemals wahrhaft ein Gott sein können. Man braucht Mut und Verstand und immense Ressourcen, um Mister … um dem Tod ins Gesicht zu spucken. Aber ich denke, man braucht außerdem noch etwas. Verve ist vielleicht das Wort. Stil. Um sich mit dem Universum auf eine Stufe zu stellen und zu sagen: ›Ich bin das Maß. Es gibt kein anderes.‹ Verstehst du?«
    Eine Zeitlang gab Wells keine Antwort. Die unter ihnen dahinfließende Rampe hatte sich irgendwann in eine Fläche aus Diamantfacetten verwandelt, die ihre Gestalten millionenfach spiegelte.
    »Du … du bist sehr eloquent«, sagte Wells schließlich. »Du gibst mir viel Stoff zum Nachdenken.«
    Jongleur neigte sein mächtiges Haupt und verschränkte die Arme vor der Brust. Gleich darauf hatten sie das Ende der Rampe erreicht und hielten vor dem letzten Raum, einem ungeheuer weiten goldenen Saal, dessen Wände, Fußboden und Decke alle wie die Sonne leuchteten, obwohl nur ein einziger senkrechter Strahl des Re mehrere hundert Meter über ihnen durch ein Loch im Dach herniederstach. Grüne Marmorsitze von einer Pracht, daß sogar das Worte »Throne« zu dürftig wirkte, standen in einem weiten Kreis um den Lichtfleck in der Mitte des Raumes, glitzernd wie ein juwelenbesetztes Stonehenge-Souvenir. Auf einem Podest neben jedem Sitz stand ein mächtiger, kunstvoll verzierter Sarkophag aus schimmerndem, blutfarbenem Stein.
    »Hier wird die Zeremonie stattfinden«, erklärte

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