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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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steuern zu können, was bedeutete, daß es irgendwo eine Steuerungsmöglichkeit geben mußte.
    Held, dachte er mit einem inneren Aufbäumen, und mit dem Gefühl brach die Wut aus der Mitte seines Wesens hervor. Nicht mit mir! Das Ding drosch auf ihn ein, peitschte den Kern, der sein Bewußtsein war, benutzte seinen eigenen treulosen Körper gegen ihn selbst, aber Dread zehrte von seiner Wut. Er wußte, wie man eine Tracht Prügel einsteckte, wußte, wie man sich selbst bewahrte, den einen gierigen Punkt, der niemals geduckt werden konnte, der sich gegen alle Gewalt behauptete und darauf wartete, hervorzuschießen und alles zu fressen. Er machte sich klein und hart wie ein in sich zusammenstürzender Stern, zog seinen Dreh zu einem nahezu unendlich feinen Willensstachel zusammen und schickte sein Bewußtsein hindurch, hinaus.
    Das Ding umgab ihn ganz und gar, aber auf einmal erkannte er, daß dieses Ding selbst mit irgend etwas gefesselt war. Dies mußten die Steuerungsmechanismen der Bruderschaft sein, die Sicherungen, die eine derart komplizierte und reaktionsschnelle Intelligenz fest unter Kontrolle halten konnten; wenn er sie fand, konnte er sich ihrer bedienen. Er verband seine spezielle Begabung mit den Suchalgorithmen, die er bei seinem Angriff auf das System in Gang gesetzt hatte, und ließ die Milliarden von Knotenstellen vorbeischießen, aus denen die Systemmatrix bestand, wohl wissend, daß er für eine planvolle Überprüfung keine Zeit hatte.
    Der Dreh war alles, was ihm noch blieb. Während das hyperkomplexe Innenleben des Netzwerks vor ihm dahinströmte, richtete er seine ganze Aufmerksamkeit auf die eine Sache, die er brauchte.
    Es war sinnlos. Irgendwo krümmte sich sein Körper in Schüttelkrämpfen, waren seine Lungen gelähmt, schlug sein Herz so panisch, daß es immer wieder stolpernd aus dem Rhythmus kam. Sein Gehirn bekam praktisch keinen Sauerstoff mehr zugeführt. Der lodernde, mörderische Punkt, der Dread war, ein einzelner weißer Zwerg in einem riesengroßen leeren Universum, stand kurz vor dem totalen Kollaps.
    Da fand er sie. Er war kaum mehr bei Bewußtsein, und sein Verständnis dieser Systeme war aufgrund seines Desinteresses immer schon begrenzt gewesen – mußte ein Tänzer sich theoretisch mit der Schwerkraft beschäftigen? –, aber als er jetzt den Scan anhielt und tief in die Matrix vorstieß, wußte er, daß er die Strukturen lokalisiert hatte, die das Otherland-Betriebssystem banden und kontrollierten. In höchster Not nahm er sich wahllos die erste vor, die er ausmachen konnte, dann drehte er.
    Das ungeheuerliche Ding, das ihn umschloß, zuckte zurück – die Plötzlichkeit und Heftigkeit der Reaktion ließ sich nicht anders beschreiben. Die Wirkung war dermaßen gewaltsam, daß sie beinahe das schwache Band zerriß, das Dread noch in der Welt der Lebenden hielt. In irgendeiner Ferne bäumte sich sein Körper auf und schnappte nach Luft – er sah ihn förmlich vor sich, sah Dulcy Anwin neben dem Bett und den schrillenden Alarmanzeigen stehen, das Gesicht von Furcht und Hoffnung verzerrt –, und er dehnte sein zusammengepreßtes Bewußtsein aus, bis es den ganzen wieder frei gewordenen Raum ausfüllte. Er drehte abermals, und abermals fuhr das Ding, das ihn angegriffen hatte, in alle Richtungen gleichzeitig zurück und zerstreute sich im System wie eine im hellen Sonnenschein verdunstende Wolke. Als es geflohen war, ließ Dread schließlich los. Er war dem Tod näher, als er es in einem Leben ständiger Todesnähe jemals gewesen war.
     
    Noch lange danach begnügte Dread sich damit, einfach zu sein – wie ein Blatt, das auf einer Pfütze schwamm, ein Tautropfen, der dick an der Spitze eines Grashalmes hing. Das eintönige Grau der Systemplattform war zurückgekehrt; er schwamm darin, und sie wartete auf seine Befehle. Er sammelte langsam seine Kraft und seinen Willen, holte sie sich zurück, so wie ein fahrender Ritter seine Rüstung Stück für Stück wieder anzieht, nachdem ihn der feurige Atem des Drachen beinahe zu Asche verbrannt hätte.
    Aber ich bin Sieger, dachte er. Ich hab’s geschafft – ich. Der Held. Der einsame Reine. Der Durchschauer der Lügen. Der Unüberwindliche.
    Er ließ den Beethoven wieder lauter werden, und die mitreißenden Triumphmarschklänge im vierten Satz tönten durch seinen Schädel. Held.
    Er wandte sich erneut den Steuerungsmechanismen des Otherlandsystems zu. Vieles daran war merkwürdig, selbst für seine zwar scharfe, aber

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