Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Jongleur feierlich. »Es nennt sich das ›Goldhaus‹. Im Grab eines gewöhnlichen Pharaos wäre diese Totenkammer, wo sich seine schließliche Einswerdung mit den Göttern vollzog, nicht viel größer als ein Wohnzimmer. Ich fand diese Größe eher zu unserer Zahl und zum Charakter unseres Rituals passend.«
Die beiden beobachteten eine Weile schweigend, wie der einzelne Sonnenstrahl, der durch das Ziehen nicht zu sehender Wolken verschleiert und wieder entschleiert wurde, so mannigfaltige Veränderungen in dem gewaltigen goldenen Saal bewirkte wie ein Stein, der in einen stillen Teich geworfen wird.
»Es ist … erstaunlich«, sagte Wells zuletzt.
»So ist es gedacht.« Jongleur nickte zufrieden. »Ich darf sagen, daß Jiun Bhao die gleiche Reaktion gezeigt hat.« Er rieb die Hände aneinander, daß die altersschwachen Binden zwischen den Fingern ausfaserten. »Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werden wir alle feierlich unsere Kelche erheben. Deiner und meiner – und natürlich die der beiden andern – werden, metaphorisch gesprochen, nicht das enthalten, was die übrigen Mitglieder unserer Bruderschaft bekommen. Du kannst ihn trinken oder nicht – ich bin sicher, du kannst dich zu deiner Zufriedenheit davon überzeugen, daß ich keinen Trumpf im Ärmel habe –, aber wenn du, Yacoubian, Jiun und ich offensichtlich nicht das gleiche tun wie alle andern, wird das Verdacht erregen. Ich werde dafür sorgen, daß wir in jeder Hinsicht den Anschein erwecken, die gleiche Erfahrung zu durchlaufen.« Er drehte sich voll zu dem anderen Mumiengott um. »Da ich gerade von deinem Kollegen Yacoubian spreche, wo ist er eigentlich? Ich hätte gedacht, bei seinem mißtrauischen Charakter würde er als erster sehen wollen, was ich dir heute gezeigt habe.«
Wells schien an der Frage keinen Anstoß zu nehmen. »Da wir vier die Zeremonie später vollenden, fand Daniel es besser, sich noch Zeit für eine dringende militärische Angelegenheit zu nehmen, eine Sache, die er vor dem Gralsschluck gern noch abgeschlossen hätte. Er meinte heute morgen zu mir, es sei damit jetzt alles klar; kurz nach der Zeremonie werde er alles erledigt haben und dann völlig frei sein.«
»Gut.« Jongleur konnte es nicht mit allzu großer Überzeugungskraft sagen. »Dann wirst du mich jetzt bitte entschuldigen, ich habe meinerseits noch ein paar Dinge zu regeln.«
»Eine letzte Frage. Die andern aus der Bruderschaft sind nicht gerade vertrauensselig, wie du wohl weißt. Meinst du nicht, einige könnten befürchten, daß du oder ich etwas in der Art planen …?«
Jongleur schüttelte den Kopf. »Wir können mit Verrat nichts gewinnen, jedenfalls nicht viel. Du und ich, wir werden einfach den ersten Durchlauf der Zeremonie abwarten. Wir könnten uns sogar auf den Standpunkt stellen, daß wir das zum allgemeinen Besten tun sollten. damit diejenigen, die das System kennen, eventuell auftretende Probleme beheben können.«
»Klingt gut, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß eine wie Ymona Dedoblanco uns das abkaufen würde.«
Jongleur lachte säuerlich. »Nein, ich auch nicht. Aber selbst die Mißtrauischsten aus unserer Schar sollten wissen, daß sie nichts zu befürchten haben. Mit den riesigen Anteilen unserer Vermögen, die wir für dieses System abgezweigt haben, konnten wir es gerade so zum Laufen bringen, und auch wenn wir unsterblich geworden sind, werden wir noch weitaus höhere Investitionen vornehmen müssen, bevor es wahrhaft dauerhaft und unzerstörbar ist. Sämtliche Mitglieder der Bruderschaft müssen innerhalb des Netzwerks am Leben sein, aber dennoch die volle Verfügungsgewalt über ihre Finanzen in der Außenwelt haben. Wenn sie keine Idioten sind, müssen sie das einsehen.«
»Reichtum und Macht hindern einen nicht daran, ein Idiot zu sein -Anwesende natürlich ausgenommen.« Wells bleckte lächelnd seine gelben Zähne. »Gut, dann laß ich dich jetzt zu deinen sonstigen Geschäften zurückkehren. Ich weiß deine Großzügigkeit zu schätzen.« Sein Kopf deutete eine winzige Verbeugung an; soweit Jongleur das sagen konnte, gehörte sie nicht zur vorprogrammierten Etikette von Abydos-Olim. »Vielleicht werden du und ich in Zukunft entdecken, daß es gewinnbringender ist zusammenzuarbeiten, als sich gelegentlich … zu konterkarieren.«
Jongleurs Geste war hoheitlich. »Wir werden reichlich Zeit haben, alle Möglichkeiten zu prüfen. Leb wohl.«
Im nächsten Moment waren das listige Lächeln und die still forschenden Augen
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