Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams

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ungeschulte Wahrnehmung. Er probierte herum und entdeckte, daß die Sicherungen eigenartig unpräzise funktionierten. Selbst ein derart kompliziertes System war im Grunde eine Maschine und damit einfachen Befehlen unterworfen – halt, weiter; an, aus. Aber als er jetzt eine davon aktivierte und das Ding, das ihn beinahe umgebracht hatte, fühlte – obwohl es sich so weit wie möglich von dem Eindringling und seinem feurigen, schmerzhaften Stachel zurückgezogen hatte –, da meinte er zu spüren, daß etwas wie ein Schauder das System durchlief.
    Je mehr er überlegte, um so mehr hatte Dread den Eindruck, daß die Bruderschaft ihr ungewöhnliches Betriebssystem irgendwie mittels Schmerzen steuerte. Und wenn es etwas gab, womit Dread sich auskannte, wenn es eine Sprache gab, die Dread meisterhaft beherrschte …
    Der letzte Satz der Neunten dröhnte jetzt in seinem Kopf, und mit dem Chor, dessen Stimmen wie angreifende Kriegerengel jubilierten, summten seine Knochen die gewaltige Ode »An die Freude« mit.

Freude, schöner Götterfunken,
    Tochter aus Elysium,
    Wir betreten feuertrunken,
    Himmlische, dein Heiligtum.

    Das Ding, das versucht hatte, ihn zu töten, das Sicherheitssystem, war geschlagen und geflohen und verbarg sich jetzt in den hintersten Winkeln seiner unvorstellbar riesigen Matrix. Aber Dread hatte herausgefunden, wie er ihm Schmerz bereiten konnte. Es fürchtete ihn. Was es in Wahrheit auch sein mochte, künstliches Wesen oder irrsinnig kompliziertes neuronales Netz … es war vor ihm davongelaufen.
    Alles andere konnte warten. Der Alte Mann, das Hurenaas von Sulaweyo, alles.
    »Feuertrunken«. Von Feuer berauscht. Wie ein Gott … Dread lachte, lachte im Takt der Musik, ja schrie fast vor Lust an seinem Sieg und seiner wiederkehrenden Kraft.
    Es war an der Zeit, auf die Jagd zu gehen.

Kapitel
Das Trojanische Pferd
    NETFEED/NACHRICHTEN:
    Gute Staatsbürger durch Chemie?
    (Bild: virtuelle Versuchsperson)
    Off-Stimme: Trotz Beschwerden von zahlreichen Menschenrechtsgruppen hat der US-Senat ein Gesetz zur Förderung von Forschungen verabschiedet, welche die Durchführbarkeit einer zwangsweisen Persönlichkeitsharmonisierung mit chemischen Mitteln klären sollen; dafür in Frage kämen Personen »mit einem angeborenen Hang zu strafbaren Handlungen«, wie einige Senatoren es nennen. Proteste von Rightswatch, der UNCLU und diversen anderen Gruppen konnten nicht verhindern, daß das Margulies-Wethy-Gesetz eine große Mehrheit fand.
    (Bild: Gojiro Simons von Rightswatch auf einer Pressekonferenz)
    Simons: »Es ist eine ganz üble, illegale, verfassungswidrige Kombination von vorgreifender Freiheitsbeschränkung und Doktor Frankenstein. Es ist einfach eine unsäglich grausige Idee. Was kommt als nächstes? Gedankenkontrolle? Verhaltensimplantate wie in Rußland, aber für gesetzestreue Bürger, nur um ganz sicherzugehen, daß sie auch ja nichts Unrechtes tun …?«


    > Einen einzigen strahlenden Augenblick lang stimmte alles.

    Sam Fredericks hatte eine mehr oder weniger schlaflose Nacht damit zugebracht, sich mit Ideen herumzuschlagen, die viel zu schlüpfrig waren, um sich mit Worten wie Pflicht und Treue fassen zu lassen, und als sie in den frühen Morgenstunden kurz einschlief, hatte sie sich immer noch nicht ganz entschieden. Geweckt vom Lärm der Schlacht, den Schreien und Flüchen und dumpfen Schlägen von Schwertern auf Panzer, die klangen, als kämen sie aus dem Zimmer nebenan, packte sie die Angst – nicht nur davor, was sie hörte, sondern vor allem davor, was sie jetzt tun mußte.
    Orlando schlief noch, schlief tiefer und friedlicher als die ganzen letzten Wochen. Er wurde nicht einmal wach, als die Myrmidonen an die Hüttentür klopften und ihren König anflehten, herauszukommen und in den Streit zu ziehen, bevor die Trojaner das ganze Lager zerstörten.
    Sam kauerte sich neben das Bett. Orlandos Gesicht, oder wenigstens sein Achillesgesicht, war so schön und ruhevoll wie eine Statue in einem Museum. Dann krampfte sich ihr das Herz zusammen bei dem Gedanken, daß solche Museumsstücke lang verstorbene Leute darstellten. Sie legte ihm die Hand auf die Stirn, fuhr mit den Fingern über seine Schläfe und in seine zerzausten goldenen Haare.
    Ob ich in ihn verliebt wäre, wenn er so aussähe? überlegte sie. Groß und stark und schön?
    Es fiel ihr schwer, ihn anzuschauen. Es rührte zuviel auf, zu viele Gefühle, für die sie keine Namen hatte. Sam erhob sich.
    Es war kein