Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Wand der Putz abfällt und darunter ein kunstvolles Fresko zum Vorschein kommt, aber die wiedergekehrten Erinnerungen waren auch genauso abrupt abgebrochen. Er blickte auf Emily, die vor ihm auf der düsteren Straße lag, den Kopf auf das Knie der neben ihr kauernden Florimel gebettet, und wünschte, er hätte die Zeit, den anderen mehr als nur eine kurze Zusammenfassung dessen zu geben, was ihm wieder eingefallen war. Dies war eindeutig der Kern des Ganzen; selbst die kleinsten Details konnten wichtig sein.
»Du warst Angestellter von …?« Renie hielt sich die Hände an die Stirn, als ob sie ihr weh täte. »Und die Frau, die uns immer wieder erscheint, ist Jongleurs Tochter? Aber was macht sie hier? Und womit hast du diese Leute so gegen dich aufgebracht?«
»Darüber können wir später nachdenken«, sagte Martine leise. »Erst einmal müssen wir uns irgendwie in Sicherheit bringen – vielleicht diese Simulation ganz verlassen.«
»Aber es war das Mädchen, das uns hierherbestellt hat – oder eine andere Version von ihr.« Renie kniff fest die Augen zusammen, wie um richtig wach zu werden. »Was zum Teufel läuft hier bloß? Und wie kann es sein, daß sie Emily ist? Ich meine … Emily?«
Von der Straße unter ihnen scholl lautes Geschrei herauf. Ein Knäuel bewaffneter Männer mit Fackeln kam aus der Dunkelheit gestürmt, zwei Gruppen, die auf Leben und Tod miteinander kämpften.
»Und da geht es schon planmäßig mit der Aeneis weiter«, sagte Martine. Paul blickte sie an, aber falls das als Witz gemeint war, ließ sie sich das nicht anmerken. »Wir können hier nicht reden. Vielleicht können wir überhaupt erst wieder reden, wenn wir irgendwo eine Zuflucht gefunden haben.«
»Endlich haben wir Antwort auf unsere Fragen, wenigstens auf einige«, widersprach Renie stur. »Wenn wir jetzt einen Fehler machen, weil wir nicht gründlich nachgedacht haben, kriegen wir vielleicht keine zweite Chance.«
»Ich höre mit Staunen, daß du einmal lieber erst nachdenken als gleich handeln möchtest, Renie«, schaltete sich die verbundene Frau namens Florimel ein. »Aber Martine hat recht – wenn wir hier stehenbleiben, haben wir wahrscheinlich bald zu beidem keine Gelegenheit mehr.«
Renie zuckte hilflos mit den Achseln. »Was meinst du denn, wo wir hinfliehen sollen, Martine?«
»Nehmt Emily auf den Arm. Es ist vielleicht gar nicht so schlecht, daß sie ohnmächtig geworden ist – sie hatte einen unüberwindlichen Widerwillen gegen den Ort, wo wir hinwollen.« !Xabbu und T4b faßten Emilys schlanke Gestalt unter den Achseln und an den Beinen, und Martine wandte sich unterdessen an Renie und Paul. »Soweit ich sehen kann, ändert das, was Paul Jonas uns erzählt hat, nichts an dem, was ich herausgefunden habe. Emily ist fast … allergisch, könnte man sagen, gegen einen Tempel der Demeter – die Reaktion ist ganz ähnlich wie bei der Madonna der Fenster in der Haussimulation, die der Beschreibung nach ebenfalls eine im System umgehende Version von ihr war. Es muß etwas in dem Tempel geben, das bei ihr dieses Verhalten auslöst, ein Gateway vielleicht oder irgendeinen anderen Teil der Otherland-Infrastruktur – Kunohara hat euch ja erzählt, daß dies hier die erste Simulation überhaupt war. Auf jeden Fall glaube ich, daß sich in dem Tempel ein Labyrinth befindet, und auch das stimmt mit dem überein, was Kunohara gesagt hat.«
Renie seufzte. »Ich steig da nicht durch, Martine.« Der Lärm von unten wurde lauter, da einige der Kämpfenden die Flucht ergriffen und den Hügel hinaufeilten. »Wir müssen uns einfach auf deine Instinkte verlassen.«
»Auf jetzt!« drängte Florimel.
Orlando, der während Pauls hastig erzählter Geschichte benommen auf dem Straßenpflaster gesessen hatte, richtete sich jetzt mit einem Ruck auf und machte sich von Fredericks los. »Wo sind wir?« fragte er. Sein Kopf wackelte, als er die dunkle Straße hinauf und hinunter blickte. »Wo ist Hektor?«
»Du hast ihn getötet, Gardiner. Du hast mir das Leben gerettet.« Fredericks nahm Orlandos Arm und wollte ihn hinter T4b und !Xabbu herführen, die bereits Emily davontrugen, aber er schüttelte ihre Hand ab.
»Nein«, sagte er langsam. »Ich hab niemand gerettet. Ich hab verloren.«
Das edle Gesicht des Patroklos verzog sich schmerzlich, doch als Paul hinschaute, senkte Fredericks beschämt den Kopf und schob ihren Freund hinter den anderen her.
»Er hätte mich töten sollen«, murrte Orlando. »Er hat mich
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