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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und sein schrecklicher Tod einfielen, konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, daß dadurch alles, auch seine eigenen Hoffnungen und Ängste, sinnlos geworden war, doch selbst an seinem tiefsten Punkt war Paul klar gewesen, daß es nichts brachte, sich lange solchen Gedanken zu überlassen, und jetzt war er noch weniger dazu bereit. Das Floß ließ sich auch mit seinen stümperhaften Handgriffen hervorragend steuern – die Segel und die Takelage bewegten sich offenbar genauso durch Zauberkraft wie die fast von selbst arbeitende Axt –, die Nachtluft war salzig frisch, die Wellen glitzerten im Sternenlicht, und bisher war er dreimal kurz von Delphinen umringt und begleitet worden, deren geschmeidige Schönheit ihm wie ein Segen vorkam. Paul konnte seine Trauer- und Schuldgefühle nicht abschütteln, aber er konnte sie wenigstens ein bißchen in den Hintergrund drängen. Er war ausgeruht, und er war wieder unterwegs, auf der Suche nach Troja und dem, was das Schicksal dort für ihn bereithielt.
    Das Schicksal? Paul lachte laut auf. Meine Güte, du bist vielleicht ein Einfaltspinsel! Das ist eine Spielwelt hier! Du hast ungefähr soviel Schicksal wie eine herumprallende Flipperkugel – ping, und schon flippt Jonas wieder eins weiter. Hoppla, jetzt geht’s da lang! Ping!
    Und wenn schon, es konnte nichts schaden, sich gut zu fühlen, wenigstens ein Weilchen.
     
    Das erste Anzeichen dafür, daß er seinen bruchstückhaften Erinnerungen der Klassiker etwas allzu rasch vertraut hatte, kam mit dem ersten Morgengrauen – ein langsames, aber stetiges Stärkerwerden der Strömung. Es war eine Strömung, die ihm vorher gar nicht aufgefallen war, aber sie brachte sein Gefährt, ungeachtet des geblähten Segels, ganz offenbar geringfügig vom Kurs ab.
    Er war so damit beschäftigt gewesen, das Floß zwischen den gelegentlichen kleinen Felseninseln hindurchzumanövrieren und die verwirrenden Dinge zu überdenken, die ihm die Vogelfrau – sein Engel, wie er sie jetzt lieber nannte – erzählt hatte, daß er kaum mehr einen Gedanken an die Warnung der kleinen Wachtel verschwendet hatte. Doch als jetzt die Strömung ihn nicht mehr losließ und ein leises, aber eindeutiges Dröhnen an sein Ohr drang, wurde ihm plötzlich flau im Magen.
    Wart mal, dachte er, Skylla und Charybdis – waren das bloß Felsen? War nicht eine davon ein Strudel, der Schiffe verschlang und zermalmte wie ein Müllschlucker Küchenabfälle? Und, ging ihm langsam auf, als das tiefe Dröhnen immer stärker anschwoll, würde sich ein solcher Strudel nicht genau so anhören?
    Er ließ die Ruderpinne los und wankte nach vorn, wo er einen Arm um den Mast schlang und angestrengt in die Richtung spähte. Befreit vom Gegensteuern des Ruders konnte das kleine Gefährt dem Zug nun ganz nachgeben, und das ruckartige Umschwenken nach Westen hätte ihn fast von Deck geschleudert. Im Morgennebel lagen zwei mächtige Felseninseln mit wenigen hundert Metern Abstand dazwischen vor ihm, die linke eine hoch aus dem Meer aufragende schroffe Bergspitze, von schwarzen Wolken umhüllt. Wo die Wellen an ihre düsteren Wände schlugen, sah sie rauh genug aus, um die Stahlseiten eines modernen Schlachtschiffs aufzukratzen, und Paul segelte ganz gewiß nicht in einem modernen Schlachtschiff. Der Anblick war erschreckend, doch das Floß hielt auf die andere, niedrigere Felseninsel zu. Die zur Meerenge liegende Seite war ungefähr zu einem Halbkreis gekrümmt und ließ an ein abgesunkenes Amphitheater denken; in der Mitte dieser Bucht strudelten die Wasser mit unglaublicher Gewalt im Kreis herum und dann trichterförmig nach unten, so daß ein großes zylindrisches Loch im Meer entstand, in dem ein Bürohochhaus ohne weiteres hätte verschwinden können.
    Der Wind blies auf. Trotz des kühlen Morgens plötzlich mit Angstschweiß bedeckt, jeder Tropfen eine kalte Nadelspitze auf seiner Haut, stürzte Paul über das bereits leicht schräg liegende Deck zur Ruderpinne zurück. Er riß daran, bis das Floß auf einem Kurs war, der es näher an die spitzen Felsen zur Linken brachte: Dort hatte er wenigstens eine Chance vorbeizukommen, aber wenn er einmal im Bannkreis des Mahlstromes war, konnte nichts ihn mehr retten. Das Ruderholz ächzte unter der weiter seitwärts ziehenden Strömung, und während er sich an die Pinne klammerte, betete er, daß die Wachtel im Schiffsbau wirklich so kundig gewesen war, wie es den Anschein gemacht hatte.
    Eine der Brassen riß mit einem

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