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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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flimmern und zu pulsen begann. Er konnte nur stier auf das sich ausbreitende grelle weiße Licht glotzen, das erst eigentümlich fest umrandet blieb und dann unversehens eine ungefähr menschliche, aber gesichtslose Gestalt annahm.
    Die Erscheinung hing zappelnd vor ihm in der Luft. Die kindliche Stimme, die daraus ertönte, war so unerwartet, daß er im ersten Moment nicht verstand, was sie sagte: »Mira! Mann, op an! Wie in Shumamas Schiffbruch Show!« Die Gestalt rotierte und schien ihn auf einmal zu sehen, obwohl es unmöglich zu sagen war, in welche Richtung die weiße Leere des Kopfes blickte. »Eh, bise Paul Jonas?« Sie sprach seinen Nachnamen aus, als ob er mit »Tsch« anfinge.
    »Wer … wer bist du …?«
    »Keine Zeit, Mann. Ich soll was sagen von el viejo. Mierda, wer’sen das?« Damit war Kalypso gemeint, die im Eingang der Grotte erschienen war, einen eigentümlich leeren Blick in ihrem schönen Gesicht. »Treibses mit der? Ay, hombre, ’ast du ’n Schwein!« Der formlose Kopf wackelte. »Pues, der Alte will wissen, warums nich weitergeht mit dir, eh. ’ase die andern gefunden?«
    »Die andern? Welche andern?«
    Die Erscheinung zögerte, dann neigte sie den Kopf wie ein Hund, der auf ein fernes Geräusch lauscht. »Er sagt, ’ase das Juwel gefunden, vato, muse also wissen.« Es dauerte eine Weile, bis bei Paul der Groschen fiel.
    »Das goldene Ding? Den Kristall?«
    »Yeah, klar. Er sagt, du solls den Off machen, Mann. Kannse nich sowo bleiben – geht die ganze Sache vorn ’und.«
    »Wer sagt das? Und wie soll ich hier wegkommen, wenn …?«
    Das leuchtende Wesen hörte ihn entweder nicht oder interessierte sich nicht für seine Fragen. Es flackerte, flammte hell auf und erlosch dann. Der Spuk war vorbei und die Luft über der Insel wieder still.
    »Die Götter haben sich deiner zuletzt doch noch erbarmt, treuer Odysseus«, sagte Kalypso unvermittelt. Er hatte sie ganz vergessen und schreckte jetzt auf, als er ihre Stimme hörte. »Mich jedoch stimmt es traurig – sie sind hartherzig und neidisch. Warum muß Zeus sich einmischen, wenn eine der Unsterblichen sich einen menschlichen Geliebten nimmt? Selber hat der ägistragende Gott Dutzende sterblicher Frauen geliebt und mit ihnen allen Kinder gezeugt. Aber er hat den olympischen Boten gesandt, und so muß sein Wille geschehen. Ich wage nicht, mich ihm zu widersetzen, fürchte ich doch, den Zorn des Donnerers auf mich zu ziehen.«
    »Olympischer Bote?« Paul wandte sich ihr zu. »Wovon redest du?«
    »Von Hermes, dem Träger des goldenen Stabes«, erwiderte sie. »Da wir Unsterblichen das Künftige vorauswissen, so wußte ich, daß er eines Tages mit einem Befehl vom Olymp kommen und unser Liebesglück beenden würde. Ich dachte aber nicht, daß es so bald schon geschehen würde.«
    Sie sah dermaßen kummervoll drein, daß in Paul einen Moment lang so etwas wie ein echtes Gefühl für sie wach wurde, bis er sich – nicht zum erstenmal – wieder klarmachte, daß sie ein Codekonstrukt war, nicht mehr und nicht weniger, und daß sie genau dasselbe sagen und tun würde, einerlei, wer in der Rolle des verirrten Odysseus bei ihr erschien. »Also … also das war seine Botschaft?« fragte er. »Zeus will, daß du mich ziehen läßt?«
    »Du hast den strahlenden Hermes, den Götterboten, vernommen«, antwortete sie. »Die unsterblichen Olympier haben dir schon genug Leid bereitet – es wird dir nicht frommen, dich hierin gegen den Willen des Donnerers aufzulehnen.«
    Innerlich jubilierte er. Ein Bote war es bestimmt gewesen (und ein reichlich sonderbarer zudem), aber gesandt von demjenigen, der Paul seinerzeit die Juwel-Botschaft hatte zukommen lassen, und der hatte schwerlich etwas mit dem Olymp zu tun. Kalypso jedoch hatte den Vorfall einfach in ihre Welt eingebaut, so wie Penelope versucht hatte, Pauls verwirrende Gegenwart in ihrer Welt plausibel zu machen. Er hatte einen Kommunikationsversuch von irgend jemandem – außerhalb des Systems? – erlebt, Kalypso eine Weisung des obersten Gottes.
    »Es macht mich traurig, dich verlassen zu müssen«, sagte er mit der ihm geboten erscheinenden Heuchelei, »doch ich weiß nicht, wie das gehen soll. Ich habe kein Boot. Das nächste Land ist meilenweit entfernt – so weit kann ich nicht schwimmen.«
    »Meinst du, ich würde dich ohne Geschenke fortschicken?« fragte sie ihn mit einem tapferen Lächeln. »Meinst du, die unsterbliche Kalypso würde einfach zusehen, wie ihr Geliebter im weindunklen Meer

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