Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
ertrinkt? Komm mit mir in den Wald, dort werde ich dir eine Axt aus wohlgeschliffener Bronze geben. Du wirst dir ein Floß bauen, das dich über das Reich des Poseidon hinwegträgt, auf daß die Götter dich zum dir bestimmten Ziele führen können.«
Paul zuckte mit den Achseln. »Na schön. Das hört sich ganz vernünftig an.«
Kalypso brachte die versprochene Axt – ein mächtiges, zweischneidiges Gerät, das dennoch so leicht und ausbalanciert in Pauls Händen lag wie ein Tennisschläger – und dazu noch andere Werkzeuge, dann führte sie ihn in ein Wäldchen mit Erlen, Schwarzpappeln und hohen Fichten. Sie stockte, als wollte sie ihm etwas sagen, doch dann schüttelte sie wehmütig den Kopf und entschwebte wieder den Pfad hinauf zu ihrer Grotte.
Paul blieb eine Weile zwischen den Bäumen stehen und lauschte dem durch die Wipfel rauschenden Seewind. Er hatte keine rechte Ahnung, wie er es anstellen sollte, ein Floß zu bauen, aber es hatte keinen Zweck, sich darüber zu grämen. Er würde sein Bestes tun – auf jeden Fall konnte er erst einmal damit anfangen, ein paar Bäume zu fällen.
Die Arbeit ging ihm überraschend leicht von der Hand. Trotz seiner fehlenden Erfahrung grub sich die Axt mit jedem Schlag tief ins Holz; es dauerte nicht lange, da lief ein Zittern durch den ersten Baum, und sein Fall kam so plötzlich, daß die breiteren Äste Paul beinahe erwischt hätten. Beim nächsten paßte er besser auf, und bald lagen über ein Dutzend der geradesten und schlankesten Bäume am Boden. Als er sie zufrieden betrachtete, angenehm außer Atem, aber im Zweifel, was als nächstes zu tun sei, raschelte es im Gebüsch. Eine Wachtel hopste aus dem grünen Laub und setzte sich auf einen Stein. Der kleine Vogel starrte ihn mit einem Auge an und drehte dann den Kopf, um ihn mit dem anderen fixieren zu können.
»Du mußt die Stämme entasten und entrinden«, sagte die Wachtel mit der Stimme eines schelmischen Mädchens. »Haben deine Eltern dir denn gar nichts beigebracht?«
Paul gaffte sie an. Ihm waren zwar schon merkwürdigere Dinge untergekommen, aber dennoch war er einigermaßen überrascht. »Wer bist du?«
Sie gab ein kleines belustigtes Zwitschern von sich. »Eine Wachtel! Oder wie sehe ich aus?«
Er nickte – dagegen war nichts zu sagen. »Und du weißt, wie man ein Floß baut?«
»Besser als du, wie es scheint. Du kannst von Glück sagen, daß Kalypso dich hergebracht hat, denn du hast nicht einmal die Dryaden um Erlaubnis gefragt, bevor du ihre Bäume umgehauen hast, und jetzt müssen sie sich alle neue Quartiere suchen.« Sie wippte mit dem Schwanz. »Wenn du die Stämme entastet hast, mußt du sie alle auf die gleiche Länge bringen.«
Wahrscheinlich war es klüger, einer geschenkten Wachtel nicht ins Maul zu schauen, dachte er und machte sich an die Arbeit. Der Axtstiel aus Olivenholz fühlte sich an wie ausschließlich für seine Hand geschnitzt, und die Arbeit ging ebenso zügig vonstatten wie das Fällen der Bäume. Bald hatte er eine Reihe nahezu identischer Stangen beisammen.
»Nicht schlecht«, sagte seine neue Freundin. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mir von dir ein Nest bauen ließe. Na gut, aber jetzt weiter im Text, solange du noch Tageslicht hast.«
Paul schnaubte bei dem Gedanken, Anweisungen von einem kleinen braunen Vogel entgegenzunehmen, aber unter der geduldigen Anleitung der Wachtel war das Floß in kurzer Zeit fertiggestellt, ein robustes kleines Gefährt mit einem Mast, einem Halbdeck und einem Ruder sowie einer Art Umzäunung aus Weidenflechtwerk an den Rändern als Wehr, damit das Meer nicht ungehindert über das Deck spülen konnte.
Kalypso kam später am Tag mit einer großen Rolle aus schwerem, glänzendem Leintuch, das als Segel dienen sollte, doch ansonsten arbeitete Paul allein beziehungsweise in der Gesellschaft der kleinen Wachtel. Mit ihren klugen Ratschlägen und den fast wundertätigen Werkzeugen kam er unglaublich flott voran. Am späten Nachmittag war nur noch die Takelage zu machen, und während er die einzelnen Teile verseilte und es mit Fassung trug, daß die Wachtel dabei hierhin und dorthin hüpfte und Empfehlungen vermischt mit mildem Vogelspott aussprach, hatte er auf einmal eine Empfindung, die er bis dahin nicht gekannt hatte, das warme Gefühl, etwas geleistet zu haben.
Ach was, mach dir nichts vor. Das alles wird doch bloß so hingemogelt, daß unfähige Deppen wie du tun können, was sie tun müssen, ohne die Regeln der
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