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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Höhlung, in die sie geduckt gerade hineinpaßte, unter einem Dach aus gefallenen Ästen mit einer Kruste aus Laubmulch und Erde darüber. Die andere Person, die in der Nische Schutz suchte, war nicht zu erkennen, sie spürte nur eine kindliche Gestalt an ihre Flanke drücken. »Wer bist du?« fragte sie leise.
    »Pssst.« Die Gestalt neben ihr erstarrte. »Er ist ganz nahe.«
    Renies Herz schlug weiterhin viel zu schnell. »Aber wird er uns nicht riechen?« flüsterte sie.
    »Es kann uns nicht riechen, nur hören.«
    Renie verstummte. Sie kauerte sich zusammen, den Geruch feuchter Erde in der Nase, und verdrängte die Vorstellung, lebendig begraben zu sein.
    Sie fühlte das Nahen des Jägers, bevor sie ihn hörte, und die anschwellende Panik machte ihr eine eisige Gänsehaut und einen solchen Druck in der Brust, daß sie meinte, sie werde zerspringen. War dies das ohnmächtige, lähmende Grauen, das Paul Jonas jedesmal verspürte, wenn die Zwillinge in seine Nähe kamen? Ihre Achtung vor dem Mann stieg noch mehr, und gleichzeitig mußte sie sich zusammenreißen, um nicht vor Angst laut loszuschreien.
    Das Schreckgespenst war jetzt über ihnen, sie spürte es so deutlich, als ob eine Wolke sich vor die Sonne geschoben hätte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, der Drang zu schreien wie weggeblasen. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie hätte keinen Mucks von sich geben können.
    Aber der Verfolger seinerseits war keineswegs stumm. Er winselte wieder, und diesmal so nahe, daß Renie meinte, ihre Knochen würden zu Staub zerkrümeln. Unmittelbar darauf hörte sie andere Töne, ein seufzendes Murmeln, als ob das Phantom mit einer Stimme wie der Wind vor sich hinwisperte, sinnlose, vorsprachliche Geräusche. Dieses gedämpfte Gebrabbel war ebenso unerträglich wie der Ruf. Es klang nach einer sterbenden oder schon toten Intelligenz, nach purer Idiotie. Obwohl sie im Dunkeln saß, kniff Renie fest die Augen zu, bis ihr das Gesicht weh tat, biß die Zähne zusammen und betete zu irgendeiner helfenden Macht um Stärke.
    Nach und nach wurden die Töne schwächer. Auch die Empfindung hungriger, gehirnloser Bosheit klang ab. Renie ließ vorsichtig die Luft entweichen. Die Gestalt neben ihr berührte sie mit kühlen Fingern am Arm, wie um sie vor verfrühten Freudensbekundungen zu warnen, aber Renie hatte durchaus nicht das Bedürfnis, sich zu bewegen oder einen Laut von sich zu geben.
    Mehrere Minuten vergingen, bevor das dünne Stimmchen sagte: »Ich glaube, jetzt sind sie alle weg.«
    Umgehend kroch Renie rückwärts aus der winzigen Astwerk- und Erdhöhle heraus. Inzwischen war es Abend geworden, soweit man an diesem sonnenlosen Ort davon reden konnte. Die Welt war grau, aber dafür, daß das spärliche trübe Licht am Himmel fast ganz erloschen war, schien es noch ein wenig zu hell zu sein. Es war, als ob die Steine und sogar die Bäume einen schwachen Schein abgaben.
    Im Laub zu ihren Füßen raschelte es. Die kleine Erscheinung, die dort hervorkroch, war graubraun gefleckt und sah menschlich aus, aber nur ungefähr, so daß man meinen konnte, sie wäre mit einer Ausstechform aus einem Erdklumpen gestanzt worden.
    Renie trat einen Schritt zurück. »Wer bist du?«
    Verwunderung erschien auf dem Gesicht der Gestalt, einem Gesicht, dessen Züge sich im wesentlichen aus einer Verteilung von dunklen und hellen Flecken, Buckeln und Dellen auf der erdfarbenen Fläche ergaben. »Du kennst mich nicht?« Die Stimme war leise, aber erstaunlich klar. »Ich bin das Steinmädchen. Ich dachte, jeder kennt mich. Andererseits hast du nicht mal gewußt, daß du dich verstecken mußt, da kann das natürlich sein.«
    »Tut mir leid. Danke, daß du mir geholfen hast.« Sie blickte über den leeren Hang. »Was … was waren das für Biester?«
    »Die?« Das Steinmädchen warf ihr einen leicht verdutzten Blick zu. »Bloß ein paar Schnöre. Die kommen immer abends raus. Ich hätte mich nicht so lange draußen rumtreiben sollen, aber …« Der Gesichtsausdruck des Steinmädchens, soweit man von einem solchen reden konnte, wurde trotzig. Es bückte sich und bürstete sich die noch an ihm hängenden Blätter ab, wobei es trotz der Dicke seiner Gliedmaßen und der Plumpheit seiner Finger eine ziemliche Geschicklichkeit an den Tag legte.
    »Und wer bist du?« fragte das kleine Mädchen, als es sich wieder aufgerichtet hatte. »Wieso kennst du die Schnöre nicht?«
    »Ich bin fremd hier«, antwortete Renie. »Auf Wanderschaft, könnte man sagen.« Das

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