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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Steinmädchen mochte so aussehen, als wäre es hastig aus Erde geknetet worden, aber seine geschmeidigen Bewegungen erweckten den Eindruck, daß es noch an anderen Stellen als den normalen Gelenken biegsam war. »Lebst du hier?« fragte Renie ihrerseits. »Kannst du mir etwas über die Gegend erzählen?« Da kam ihr ein Gedanke. »Ich suche ein paar Freunde von mir. Einer ist ein kleiner Mann, beinahe so dunkelhäutig wie ich, die andere ist ein Mädchen mit Ringellocken und etwas hellerer Haut. Hast du sie gesehen?«
    Die Dellen, die die Augen des Steinmädchens bildeten, wurden größer. »Du stellst echt einen Haufen Fragen.«
    »Entschuldige. Ich … ich hab mich verlaufen. Hast du sie gesehen?«
    Der kleine Kopf ging langsam hin und her. »Nein. Warst du draußen im Auslöschen?«
    »Wenn du damit die Gegend da hinten meinst, wo alles so … seltsam wird, fast unsichtbar, ja, da war ich.« Plötzlich merkte Renie, wie müde sie war. »Ich muß unbedingt meine Freunde finden.«
    »Du mußt vor allen Dingen mal hier weg. Und ich auch. Ich hätte nicht so spät noch draußen sein sollen, aber ich wollte zum Wutschbaum, um wegen dem Auslöschen zu fragen.« Das Steinmädchen ließ dieser wenig erhellenden Auskunft ein kurzes nachdenkliches Schweigen folgen. »Du kommst lieber mit mir zur Stiefmutter«, sagte es schließlich.
    »Zur Stiefmutter? Wer ist das?«
    »Hast du denn keine? Hast du gar keine Familie?«
    Renie seufzte. Wieder eines dieser Anderlandgespräche, aus denen kein Mensch schlau wurde. »Schon gut. Klar, bring mich zu dieser Stiefmutter. Ist es weit?«
    »Bei den Schuhen. Am Hosenende«, lautete die nächste rätselhafte Antwort. Dann watschelte das Steinmädchen an Renie vorbei den Hang hinunter.
     
    Es dauerte nicht lange, bis Renie die Ortsangabe verstand, wobei ihr allerdings dieses Verständnis auch nicht viel weiterhalf.
    Während sie sich im letzten Dämmerlicht bergab bewegten, dem Verlauf des Flusses folgend, der durch einen Einschnitt zwischen den Bergen kam und schäumend in das nebelige Tal weiter unten rauschte, wurde Renie mit jedem Schritt klarer, daß sie vorher leider richtig beobachtet hatte. Die fernen Berge hatten die Umrisse menschlicher Leiber, waren aber dennoch echte Landschaftsformen, die zumindest an der Oberfläche aus Erde bestanden und mit Pflanzenwuchs bedeckt waren, so als ob sich eine Schicht Boden über die Leichen von Titanen gebreitet hätte. Während jedoch der eine Riese auf dem Gipfel des schwarzen Berges unzweifelhaft lebendig gewesen war, schienen diese vielen und etwas kleineren Erdgebilde die Überreste einer unvordenklich früheren Zeit zu sein.
    »Wo sind wir hier?« fragte Renie, als sie ihre Führerin wieder eingeholt hatte.
    Das Steinmädchen versuchte, über die Schulter zu schauen, was aber ohne Hals gar nicht so einfach war. »Bist du noch nie hier gewesen? Das ist der Hansische Bohnengarten. Du kannst noch die ganzen runtergefallenen Riesen sehen. Die sind groß«, fügte es überflüssigerweise hinzu.
    »Echte Riesen?« fragte Renie, sah aber gleich ihre Dummheit ein. Als ob so eine Frage in einer Welt wie dieser einen Sinn haben könnte.
    Das Steinmädchen schien jedoch nichts dabei zu finden. »Und wie. Runtergefallen sind sie. Ich weiß nicht mehr, warum. Wenn du willst, kannst du das die Stiefmutter fragen.«
    Auf dem Weg entlang der Stromschnellen begann Renie die merkwürdige Auskunft des Mädchens langsam zu verstehen. Vorher, vom Nebel verschleiert, waren die ungewöhnlichen Konturen des Landes nur als die Folge eigentümlicher Erhebungen und düsterer Haine erschienen, aber jetzt, wo sie eine bessere Sicht hatte, nahm sie eine gewisse Ordnung wahr. Eine große Auffaltung, ein Bergrücken mit einer dürren Baumlinie auf dem Kamm, erwies sich nunmehr als ein einziger ungeheurer…
    »…Ärmel?« rief Renie aus. »Ist das ein Ärmel? Soll das heißen, wir spazieren gerade auf einem … einem Hemd?«
    Das Steinmädchen bewegte wieder verneinend den Kopf hin und her. »Jacke. Wir sind jetzt in den Jacken. Die Hemden sind da drüben.«
    Sie deutete mit einem Stummelfinger in die angegebene Richtung. »Willst du zu den Hemden?«
    Renie schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Nein, ich war bloß … erstaunt. Warum ist dieses Land … warum besteht es ganz aus Kleidungsstücken?«
    Das Steinmädchen blieb stehen und drehte sich um. Anscheinend mochte es bei seiner eigenartigen Anatomie nicht mehr über die Schulter reden. Es blickte Renie an, als

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