Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
nicht?« fragte Dread. »Man kann hier nichts vorhersagen. Mein Gott – ups, dummer Versprecher –, diese Simulation ist echt eine Wucht. Sie alle.« Er wandte sich an Seneb. »Wenn du ihn tötest, lasse ich dich leben.«
    Seneb starrte betreten den Priester an. Er zögerte.
    »Worauf wartest du noch?«
    »Und … und meine Familie?«
    »Du willst deine Familie auch umbringen?« Dread lachte bellend. »Ach, ich verstehe, du willst wissen, ob ich deine Familie verschone. Sei’s drum. Warum nicht?«
    Als nun der Kaufmann Seneb die Hände hob und sich auf den Priester stürzte, einen älteren, gebrechlich wirkenden Mann, der vor Furcht aufschrie, schüttelte Dread ehrlich staunend den Kopf. Es war wirklich frappierend. Er erinnerte sich, daß diese Renie und die anderen Bemerkungen darüber gemacht hatten, aber die totale Verfügungsgewalt, die er jetzt genoß, die durch nichts gehemmte Freiheit, den simulierten Menschen des Netzwerks alle erdenklichen Schmerzen und Gemeinheiten zuzufügen, machte es noch deutlicher: Die Individualität dieser Konstrukte war beispiellos, jedes trug in sich sein eigenes kleines Universum voller Hoffnungen, Vorurteile und Erinnerungen.
    Er konnte beinahe verstehen, wieso einer wie Jongleur meinte, hier eine Ewigkeit verbringen zu können, auch wenn er sich das für seine Person nicht vorstellen konnte, wenigstens nicht in der nahen Zukunft. Dread hatte die eklatanten Vergnügungsmöglichkeiten mittlerweile bald ausgeschöpft, und obwohl er unbedingt vorhatte, sich die Unsterblichkeitsoption des Gralsnetzwerks offenzuhalten, war er nicht bereit, die realen fleischlichen Freuden für die rein virtuellen zu opfern. Noch nicht.
    Dennoch, amüsieren konnte man sich hier.
    »Komm schon, gib’s zu, du bist für einen von ihnen.«
    Der Mund der Frau neben ihm wurde ein harter Strich. Dread schmunzelte. Dies machte viel mehr Spaß als alles, was er mit Dulcy anstellen konnte, denn ihr gegenüber mußte er weiterhin die freundliche Fassade wahren. Es gab nach wie vor vieles, wofür er sie brauchte. Er mußte noch eine Menge über das Netzwerk in Erfahrung bringen, doch jetzt, wo er sich von der anhaltenden Abwesenheit des Alten Mannes überzeugt hatte – Jongleurs Privatleitung war tot, und falls er sich irgendwo im Gralssystem aufhielt, war er den Gefahren genauso schutzlos preisgegeben wie Dreads frühere Begleiter –, mußte er irgendwie in Jongleurs private Dateien hineinkommen. Er benötigte dringend Informationen über das Betriebssystem und auch über Dinge, die außerhalb der kleinen, hermetischen Welt von Otherland von Bedeutung waren.
    Mit dem Geld und der Macht des Alten Mannes, dachte Dread fröhlich, kann ich auch in der wirklichen Welt ein Gott sein. Ich kann das alles mit richtigen Menschen anstellen. Industrieunfälle. Verseuchung ganzer Landstriche. Ein paar kleine Kriege, wenn mir danach ist. Und dann werde ich das Gralsnetzwerk haben, wo ich überleben kann.
    Erstaunliche Perspektiven hatten sich eröffnet. Die Beherrschung des Otherlandsystems, worin er vorher den Gipfel des Möglichen erblickt hatte, war vielleicht nur der Anfang.
    John Wulgaru, dachte er bei sich. Der kleine Johnny Dread. Der König der Welt.
    Der Kaufmann Seneb kämpfte ungeschickt, doch der alte Priester war ihm nicht gewachsen. Sein weitgehend zahnloser Kiefer hing schlaff herunter, während der jüngere Mann ihn gepackt hielt und seinen Kopf auf die blanken Steinplatten des Tempelbodens schlug, immer und immer wieder.
    Die Frau neben Dread hatte die Augen geschlossen. Niedlich. Wenn sie meinte, damit aus dem Schneider zu sein, sollte man sie vielleicht in den Genuß der Erkenntnis kommen lassen, wie leicht sich Augenlider entfernen ließen. Er drehte sich zu seinem anderen Gast um, der soeben unter Stöhnen aus seiner Ohnmacht erwachte.
    »Bißchen langweilig?« Dread schwenkte seinen silbernen Stab, und Kaufmann und Priester zerliefen schreiend auf dem Marmorboden in Pfützen. Die Menge der Zuschauer kreischte ebenfalls auf. Dread war fasziniert; er hätte gedacht, daß Folter und Tod sie mittlerweile alle abgestumpft hatten. »Na, dann ist es vielleicht an der Zeit, daß wir uns wieder mit unsern Angelegenheiten beschäftigen.«
    »Du kannst mich foltern, soviel du willst«, sagte die Frau. »Selbst wenn du wirklich der Teufel wärst, könntest du mir den Buckel runterrutschen.«
    »Ach, stell dich nicht so an.« Dread beugte sich herunter, bis seine große Schnauze ihre Wange berührte und seine

Weitere Kostenlose Bücher