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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Nase feucht auf ihr Ohr drückte. Er leckte die Seite ihres Gesichts und malte sich aus, wie es wohl wäre, ihr den Kopf auf einen Happs abzubeißen. Würde sich das Gefühl durch das Wissen verändern, daß sie ein leibhaftiger Mensch war? Mit den virtuellen Bewohnern dieser Simwelt hatte er es oft genug probiert. »Laß uns ein Spiel machen … wie heißt du nochmal? Ja, richtig, Bonnie Mae. Also, machen wir ein Spiel, Bonnie Mae. Jede brauchbare Information über den Kreis oder ein paar Freunde von mir, die du kennst, das weiß ich, verschafft dir eine schmerzfreie Stunde. Mit ein bißchen Geschick kannst du ein paar nette Urlaubstage hier im sonnigen Ägypten rausholen.«
    »Ich sage nichts. Hebe dich weg von mir, Satan!«
    »Ja, ja, ich bin sicher, du hältst unter allen Umständen eine Weile den Mund wie eine brave Märtyrerin, mein kleines Rotkäppchen. Wenigstens am Anfang. Aber wir wollen keine Zeit verplempern.« Er streckte eine mächtige Hand nach dem anderen Gefangenen aus. Die Spitzen von Dreads rabenschwarzen Fingern begannen rot zu glühen. »Aber wie lange kannst du schweigen, wenn unser indischer Freund hier in die Mangel genommen wird?« Er grinste sein männliches Opfer höhnisch an. »Du wünschst dir wohl, du wärst noch rechtzeitig vor meiner Machtübernahme aus dieser Simulation rausgekommen, was?« Er schloß seine langen Finger um das Bein des Mannes. Fleisch brutzelte und qualmte. Auf das Brüllen des Gefolterten hin fiel sogar die abgestumpfte Menge jammernd zu Boden.
    »Nein!« schrie die Frau. »Hör auf, du Teufel! Hör auf!«
    »Aber das ist gerade der Witz bei der Sache, Süße.« Dread hob seine rauchenden Finger in einer Geste gespielter Hilflosigkeit. »Ob ich aufhöre oder nicht, liegt nicht an mir – es liegt an dir!«
    »Nicht… Sag ihm nichts, Missus Simpkins!« Nandi Paradivasch bebte vor Qual, aber hielt sich mit aller Kraft aufrecht. »Ich bin genauso gebunden wie du. Mein Leben ist nichts. Meine Schmerzen sind nichts.«
    »Ganz im Gegenteil«, meinte Dread. »Sie sind recht beachtlich. Und wenn die Frau nicht redet, um dich zu retten, dann wirst du reden, denke ich, wenn ich mir sie vorknöpfe.« Er bleckte grinsend eine Reihe Zähne, die wie elfenbeinerne Schachfiguren aussahen. »Denn auf die Behandlung von Frauen verstehe ich mich noch besser.«

Kapitel
Das Steinmädchen
    NETFEED/NACHRICHTEN:
    Das Netz hat seine eigene Folklore
    (Bild: künstlerische Darstellung des TreeHouse-Knotens)
    Off-Stimme: Nach Ansicht der Netzhistorikerin Gwenafra Glass bringt das Netz genau wie ein neues Gemeinwesen seine eigenen Märchen, Fabeltiere und Gespenster hervor.
    Glass: »Wenn man ganz zu den Anfängen zurückgeht, stößt man schon da auf Geschichten über Kabelläuse und dergleichen. TreeHouse ist ein weiteres Beispiel. Es ist ein real existierender Knoten, aber im Lauf der Jahre haben sich so viele Gerüchte darum gerankt, daß er fast zu einem reinen Phantasiegebilde geworden ist. Und in neuerer Zeit haben wir Phänomene wie ’Das Weinen’, eine merkwürdige schluchzende Stimme, die die Leute manchmal in freien Chatknoten und unfertigen VR-Welten hören. Und natürlich haben auch die Maschinenteufel, Märchenfiguren aus dem zwanzigsten Jahrhundert, die angeblich Kampfflugzeuge blockierten und so weiter, Nachfolger in den heutigen Leuchtkäfern und Lichtschlangen bekommen, die manche Leute in VR-Environments gesehen haben wollen, aber von denen im Code nie eine Spur zu finden ist …«
     
     
    > Zu Tode erschrocken blickte Renie sich um, aber konnte nicht erkennen, woher das Geräusch gekommen war. Die nächste der sie verfolgenden gespenstischen Gestalten war ein heller Schmierfleck im trüben Dämmerlicht, beängstigend nahe herangekommen, aber immer noch gut fünfzig Meter entfernt. Sie tat einen Schritt, um einen besseren Stand zu haben, als sich auf einmal eine Hand um ihre Fessel legte. Mit einem unterdrückten Entsetzenslaut riß sie sich los.
    »Hier unten«, sagte eine dünne Stimme. »Hier kannst du dich verstecken.«
    Es raschelte neben Renies Füßen. »Ich … ich seh dich nicht.« Der Wind trug das gluckernde Winseln des Verfolgers hangabwärts. »Wo bist du?«
    »Hier unten. Komm!«
    Renie ließ sich in dem Gestrüpp auf Hände und Knie sinken, doch die Schatten verwirrten sie. Da vergrößerte sich eine der dunklen Stellen ein wenig, und eine kleine Hand kam heraus, faßte sie am Handgelenk und zog. Renie krabbelte voran und befand sich auf einmal in einer

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