Outback: Unter australischer Sonne (German Edition)
erkannte Ian, der im Halbdunkel des Flures näher kam. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich, aber das verschmitzte Grinsen, das er vorhin noch zur Schau getragen hatte, war einem tiefen Stirnrunzeln gewichen.
Faith schluckte. Zum ersten Mal fühlte sie sich einer Situation nicht gewachsen. Während Samantha sie kritisch musterte, erwiderte Ian Faiths Blicke wortlos. Enttäuschung breitete sich in seinen Zügen aus und sie presste schmerzhaft die Kiefer aufeinander, während sie dabei zusah, wie er sich abwandte.
Ihm musste doch klar sein, dass sie Samantha nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellen konnte. Das Mädchen brauchte Zeit, um sich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen. Nichts wäre weniger angeraten, als mit der Tür ins Haus zu fallen.
Natürlich wollte sie nicht gehen. Sie wünschte sich nichts mehr als zu bleiben und ihr Leben mit Ian zu verbringen, aber sie wollte nicht die nächsten Jahre damit verschwenden Samantha zum Feind zu haben. Für Faith war es wichtig, dass alle in dieser Familie damit einverstanden waren.
„Marilyn hat gesagt, Sie werden sechs Wochen bleiben“, bemerkte Samantha. Ihre Augen glitzerten angriffslustig. Faith wappnete sich gegen den nächsten Schlag.
„Ja, diese Zeit hatte deine Mutter für notwendig erachtet“, gab sie zurück. „Sie klang sehr bestimmt.“
Samantha zog den rechten Mundwinkel hoch und Faith bemerkte ein Grübchen in ihrer Wange. Gänsehaut überzog plötzlich ihre Arme und ihr wurde heiß. Blinzelnd starrte sie das Mädchen an. Der Anblick der Vierzehnjährigen löste eine Erinnerung in ihr aus, die sie über Jahre verdrängt hatte.
„Marilyn ist nicht meine Mutter. Sie tut nur gerne so, um sich in Szene zu setzen und sich in mein Leben einzumischen.“
„Sam!“
Ians Stimme schallte durch den Flur und Samantha rollte die Augen. Ohne weiter auf Faith zu achten, trat sie zurück ins Haus und ließ die Fliegengittertür hinter sich ins Schloss fallen. Faith hörte die Beiden undeutlich diskutieren und rührte sich nicht von der Stelle.
Die zuschlagende Tür schien regelrecht symbolisch dafür zu sein, dass sie sich in diesem Moment völlig aus dem Leben von Ian ausgeschlossen fühlte.
Was tat sie eigentlich hier?
Sie verrannte sich in wilde Hoffnungen auf einen Mann, den sie erst fünf Tage kannte und gab sich bezüglich seiner Tochter einer Scheinwahrheit hin, die der unstillbaren Sehnsucht nach Erfüllung ihrer eigenen Wünsche entsprang. Wenn sie noch ein bisschen bei Verstand war, packte sie umgehend ihre Koffer und verschwand von hier, bevor sie völlig durchdrehte.
Sie senkte den Kopf und starrte auf den Hut in ihren Fingern. Das Marilyn für Samantha nicht die Mutter war, die das Mädchen sich wahrscheinlich jahrelang gewünscht hatte, konnte Faith sich auch ohne weiterführende Erklärungen denken. Aber Samanthas Worte zeigten deutlich, wie wenig Marilyn sich in der Vergangenheit bemüht hatte und Faith fühlte sich auf fast unangenehme Weise an das Verhältnis zwischen ihr und ihrer eigenen Mutter erinnert.
„Faith?“
Die Fliegentür quietschte erneut. Als sie den Kopf hob, sah sie Elaine im Hauseingang stehen. Tief durchatmend schenkte sie der älteren Frau ein schwaches Lächeln. Der wissende Blick, der sie aus den grauen Augen traf, ließ ihren Puls noch ein wenig nervöser schlagen.
„Nimm Sam ihr Verhalten nicht übel“, sagte Elaine. „Sie ist eifersüchtig und sie teilt ihren Vater nicht sehr gern. Gib ihr ein paar Tage Zeit.“
„Schon okay“, entgegnete Faith mit einem Nicken.
„Ich fürchte, du hast keinen guten Start erwischt“, bemerkte Elaine. „Sam hat gesehen, dass du aus dem Stall kamst und sie ist nicht auf den Kopf gefallen.“
Faith spürte wie ihr Gesicht alle Farbe verlor.
„Ich hab alles verdorben“, flüsterte sie.
Elaine schüttelte den Kopf.
„So weit würde ich nicht gehen, aber sie wird es dir nicht einfach machen.“
Schlaflos lag sie in ihren Kissen und starrte die hellen Streifen an, die der Mond zwischen den Vorhängen hindurch an die Zimmerdecke warf. Sie hatte sich früh verabschiedet und die Kopfschmerzen als Grund genannt, die sie seit dem Nachmittag plagten.
Faith war bemüht gewesen Samantha ihren Lehrplan nahe zu bringen und ihr klar zu machen, dass sie nicht so viel Zeit für den Unterricht aufwenden mussten, wie das Mädchen fürchtete. Samantha blieb ihr gegenüber genauso reserviert wie zu Beginn und auch Ians Verhalten war merklich abgekühlt.
Es war
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