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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Ich dachte immer, eines
Tages würde sie mir schon davon [23]  erzählen – wenn ich alt genug war, um die Geschichte zu erfahren. Es war offensichtlich
eine von den Geschichten, für die man »alt genug« sein mußte. Erst als sie
gestorben war – ohne mir ein Wort darüber gesagt zu haben, wer mein Vater war – kam mir der Gedanke, daß mir eine Information vorenthalten worden war, auf die
ich ein Recht hatte; erst nach ihrem Tod verspürte ich, wenn auch nur ganz
kurz, einen leichten Groll gegen sie. Selbst wenn die Identität meines Vaters
und seine Geschichte für meine Mutter schmerzlich waren – selbst wenn ihre
Beziehung so schmutzig gewesen war, daß auch nur die leiseste Andeutung ein nie
verlöschendes, ungünstiges Licht auf beide Elternteile werfen würde –, war es
nicht egoistisch von meiner Mutter, daß sie mir nie etwas von meinem Vater
erzählte?
    Aber natürlich, so setzte Owen Meany mir auseinander, war ich erst
elf, als sie starb, und meine Mutter erst dreißig; wahrscheinlich hatte sie
gedacht, sie hätte noch eine ganze Menge Zeit, um mir diese Geschichte zu
erzählen. Sie wußte ja nicht, daß sie sterben würde,
wie Owen Meany sagte.
    Owen und ich standen am Squamscott und warfen Steine in den
Salzwasserfluß, in dem man die Gezeiten spürte – oder genauer gesagt: Ich warf
Steine hinein. Owens Steine landeten im Schlamm, denn es war gerade Ebbe, und
das Wasser war für Owens kleine, schwache Arme zu weit entfernt. Durch unsere
Werferei hatten wir die Silbermöwen, die im Schlamm herumpickten,
aufgescheucht, und sie hatten sich ins Marschland auf der anderen Seite des
Squamscott zurückgezogen. Es war ein heißer, drückender Sommertag; bei Ebbe
roch der Schlamm noch salziger und modriger als sonst. Owen Meany meinte, mein
Vater wisse, daß meine Mutter tot war, und eines Tages, wenn ich alt genug
wäre, würde er sich mir gegenüber zu erkennen geben.
    »Wenn er noch lebt«, sagte ich und warf weiter mit Steinen. »Wenn er
lebt und wenn er sich was draus macht, daß er mein
Vater ist – wenn er überhaupt weiß, daß er mein Vater
ist.«
    [24]  Und obwohl ich ihm an diesem Tag
nicht glaubte, war dies der Tag, an dem Owen Meany mit seinem kontinuierlichen
Beitrag zu meinem Glauben an Gott anfing. Owen warf immer kleinere Steine, und
dennoch erreichte er das Wasser nicht; es klang schon auch irgendwie
befriedigend, wenn die Steine im Schlamm auftrafen, doch die Befriedigung war
viel größer, wenn sie ins Wasser klatschten. Und ganz beiläufig, mit einer
Sicherheit, die in einem überraschenden und geradezu unfairen Gegensatz zu
seinem kleinen Wuchs stand, sagte mir Owen Meany, er sei sicher, daß mein Vater
lebte, und er sei auch sicher, daß mein Vater wüßte, daß er mein Vater sei, und
daß Gott wüßte, wer mein Vater sei; selbst wenn mein
Vater sich mir niemals zu erkennen geben würde, so sagte Owen, würde Gott ihn mir zeigen, » DEIN VATER KANN
SICH VOR DIR VERSTECKEN«, sagte Owen, »ABER VOR GOTT
KANN ER SICH NICHT VERSTECKEN.«
    Und bei dieser Aussage stieß Owen Meany ein zufriedenes Grunzen aus,
als er einen Stein warf, der das Wasser erreichte. Wir waren beide überrascht;
es war der letzte Stein, den wir an diesem Tag warfen, und wir sahen reglos zu,
wie sich die Wellen von der Stelle aus, wo der Stein eingetaucht war,
kreisförmig ausbreiteten, bis sogar die Möwen sicher waren, daß wir ihr Leben
nicht weiter stören würden, und auf unsere Seite des Squamscott zurückgeflogen
kamen.
    Jahrelang hatte es eine sehr gut gehende Lachsfischerei an
unserem Fluß gegeben; heute läßt sich kein Lachs, der auch nur eine Spur von
Leben in sich hat, dort blicken – die einzigen, die heute noch im Squamscott zu
finden wären, wären tote. Damals hatte es auch viele Maifische gegeben – die
gab es sogar noch, als ich ein kleiner Junge war, und Owen Meany und ich fingen
sie immer. Gravesend liegt nur neun Meilen vom Meer entfernt. Obwohl der
Squamscott nie mit der Themse vergleichbar war, kamen die großen Hochseedampfer
früher den Fluß herauf bis nach Gravesend; [25]  doch
mittlerweile ist die Fahrrinne so voller Steine und Untiefen, daß kein Schiff
mit einem gewissen Tiefgang hier entlangfahren könnte. Und obwohl Captain John
Smiths geliebte Pocahontas ihr unglückliches Leben auf britischer Erde im
Gemeindefriedhof des alten Gravesend beendete, wurde der im Geiste armlose
Watahantowet nicht in unserem Gravesend begraben. Der
einzige Sagamore, der offiziell in unserer

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