Pablo Picasso - die Lebensgeschichte
Wirklichkeit abbilden. Darin ist sie sowieso am Endpunkt – das kann inzwischen jeder Kleckser. Sie soll auch frei sein von der Inanspruchnahme durch Kirche, Herrscher oder Bürgertum, die sie seit ewigen Zeiten zur Überlieferung ihrer Porträts und Wertvorstellungen benutzen. Um der Kunst diese Freiheit zu schaffen, sieht man sie am besten als reines Formproblem. Schließlich ist die Leinwand ja nicht wirklich ein puppenküchenartiger »Guckkasten«, sondern eine zweidimensionale Fläche! Ist das so schwer zu verstehen? Ja, schon. Das ist Kunst für Künstler und Eingeweihte. Die schreiben dann Artikel und Bücher darüber, und so langsam wagt der ein oder andere einen genaueren Blick auf die Sache. Und schon gibt’s die ersten Käufer und Nachahmer und man ist, wie Picasso, der Held der Stunde.
Witzige Ideen und traurige Ereignisse
Im Jahr 1912 brennt Pablos Herz für Eva. Fernande brennt auch, nämlich durch, mit einem anderen Maler. Als sie zu Pablo zurück will, flieht der in den Süden. Im Herbst bezieht er mit Eva eine neue Wohnung. Kurz – er räumt erst sein Leben auf und dann sein Atelier.
Was sich da so angesammelt hat! Zeitungen, Tapetenreste, Wachstuch, Schnur… Herrliches Zeug für seine und Braques allerneuste Spielart ihres neuen Stils. Jetzt zäumen sie das Pferd andersrum auf: statt Formen zu zerlegen, kann man sie doch genauso gut auf der Leinwand zusammensetzen – mithilfe echter Materialien! Die Idee stammt von Braque. Nicht umsonst ist er Sohn eines Dekorateurs. Der Effekt ist verblüffend: Man nehme ein Stück Wachstuch, füge es in Malerei und schon bilden ein Stuhl mit Pfeife, Weinglas, Zeitung und den typischen Stilllebenklassikern Messer und Zitrone, alles in herben Tönen, ein betont männliches Sammelsurium. Dass das im Vergleich zu den gemalten Dingen so echt wirkende Rohrgeflecht des Stuhls nur eine draufgedruckte Imitation auf Wachstuch ist, macht die Sache noch witziger. Umso mehr, als am rechten Rand des Bilds ein Stück nun wirklich echter Leinwand frei bleibt. Und während die Ovalform das gewohnte Rechteck des Tafelbilds verneint, tut die goldige Kordel so, als wäre sie ein vornehm-klassischer Rahmen!
Bild 8
Was ist echt, was gemalt? Picasso spielt hier mit Materialien und Sehgewohnheiten – was dabei herauskommt, ist die erste Collage der modernen Kunst.
Mit dem kleinen Scherz hat Pablo wieder ein Schlüsselwerk geschaffen: die erste Collage in der Kunst. Welchen Spaß er am Materialmix hat, zeigen die Gitarren, die er nun aus Holz, Pappe und Schnur zusammenbaut. Nicht, dass die schön wären – man könnte auf Basteltag im Kindergarten tippen –, aber das sollen sie auch gar nicht. Es geht um die Umsetzung des bisher nur auf die Bildfläche gemalten Kubismus ins Dreidimensionale.
In den Bildern verschwinden nun die kleinen braunen Facetten. Bald sieht man Rot und Blau, hier ein dekoratives Ornament, da eine gemalte Holzmaserung, ein Stück Zeitung oder Tapete, gemalte Wörter und Silben. Als sage er dem steilen Berg, den er mit Braque im geistigen Hochseilakt bestiegen hat, Adieu, werden Picassos Bilder um 1914 bunter und heiterer. Zunächst auch sein Leben – zunächst. Es ist Eva, die ihm bald Sorgen bereitet. Eva? Die kleine »Madame Picasso«, die mit zärtlicher Tatkraft Ordnung schafft in Pablos Heim? Die kochen kann und nicht so kleinkariert ist wie Fernande, wenn’s um Kunst geht? Die endlich Farbe in seinen Alltag und seine Bilder bringt! Doch Eva ist krank. Bald kann sie die Schmerzen, die ihr der Krebs bereitet, nicht mehr verbergen. Pablo ist am Boden zerstört. Noch ist er über den Tod des Vaters im Mai 1913 nicht hinweg, da droht der nächste Verlust. Hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu Eva und seiner panischen Angst vor Krankheit und Tod, flieht er zum Malen ins Bateau-Lavoir. Als Eva in eine entfernte Klinik kommt, nimmt er täglich den Weg auf sich, um sie zu sehen. Eva stirbt Ende 1915. Mitten im Ersten Weltkrieg.
Fünf Ballette und eine Ballerina
Ohne Eva ist die Wohnung gespenstisch leer.
M it dem Blick auf den Friedhof von Montparnasse kommt sein Zuhause Pablo selbst wie ein Grab vor. Grabesstimmung auch draußen. Im Krieg ist die Stadt wie ausgestorben. Auf den Straßen und in den Cafés, wo er vor sich hinbrütet, erntet er verächtliche Blicke – ein junger Mann, der sich davor drückt, als Soldat seine Pflicht zu tun! Soll er jedem erklären, dass er Spanier und sein Land neutral ist? Gut, er ist heilfroh, nicht an die
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