Pablo Picasso - die Lebensgeschichte
Raffael. Farbe, Raum und wirklichkeitsgetreue Körper spielen keine Rolle.
Wirkt das nicht wie von einem Kind gekrakelt? Einem genialen Kind – eben Picasso. Malte er als Kind wie ein Erwachsener, so jetzt wie ein Kind. Aufgerissene, aus der Form geratene Augen, Münder und Mäuler bilden einprägsame Masken des Alptraums. Gespreizte Finger und Zehen werden Formeln schreckstarrer Verkrampfung, Feuerzungen erscheinen wie Drachenzähne. Das alles in Graubraun, das sich im grellen Licht einer ärmlichen Glühbirne zu einem unruhig flackernden, fahlgelben Weiß aufhellt. Kann die Welt ein gewalttätigerer, grässlicherer Ort sein?
Das Werk wird zunächst nur von wenigen verstanden. So klar die Botschaft auf den ersten Blick ist – die nähere Deutung beschäftigt die Forscher noch heute. Bis 1939 reist das wandfüllende Schreckenspanorama von Ausstellung zu Ausstellung. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ist es in New York. Hier bleibt es, auf Wunsch Picassos. Nach der Befreiung Spaniens vom Faschismus soll es in seine Heimat gebracht und dort für immer gezeigt werden – was erst 1981, sechs Jahre nach Francos Tod, geschah.
Die Entstehung des künstlerischen Meilensteins dokumentieren Fotografien von Dora Maar. Damit und indem sie Pablos politisches Bewusstsein weckt und schärft, kann sie in jeder Hinsicht als Muse des Bildes gelten. Hat er nun die Frau seines Lebens gefunden?
Macho Pablo
Auf seine Art ist Pablo treu – auf seine Art. Wie bekannt, gibt er ja, was er hat, höchst ungern wieder her. Das gilt für Bilder, Häuser, Frauen. Für Marie-Thérèse, Dora und sogar Olga. Was Anlass zu Verwicklungen gibt. Und unschönen Szenen. Gerade die aber scheinen ihm zu gefallen. Was etwa macht ein Mann von Welt, wenn die auf Abstand gehaltene Mutter seiner Tochter unangemeldet im Atelier auftaucht? Er flötet ihr »Guernica ist für dich« ins Ohr. Noch mal die Kurve gekriegt, alter Lügenbold? Beim nächsten Besuch ist die Lage brenzliger. Dora ist da. Die Gelegenheit für Marie-Thérèse, der mal Grenzen aufzuzeigen! »Ich habe ein Kind von diesem Mann. Es steht mir zu, da zu sein. Sie können sofort gehen. « Tapfer, tapfer, die Kleine. Bisschen hilflos auch. Irgendwie rührend. Mal sehen, was Dora sagt. »Ich hab das gleiche Recht, hier zu sein. Kind oder nicht – das macht keinen Unterschied. « Hm, ganz schön unterkühlt, die Gute. Echt spannend. Ruhig bleiben, Pablito, still weiterpinseln. »Entscheide du, Pablo. Wer von uns beiden muss gehen?« Ach, Mariechen, schwere
Wahl. Die eine sanft, die andre klug, am besten, alles bleibt, wie’s ist. Wie wär’s, wenn ihr das unter euch ausmacht? – Oje, nicht doch, ihr zwei! Hört auf, ihr zerreißt euch die guten Kleider! Nicht kratzen, ihr Raubkatzen! Denkt an eure Frisuren! Andererseits, was für ein Anblick. Zwei schöne Frauen schlagen sich um mich!
Dass Pablo das Duell genießt und zu seinen »wertvollsten Erinnerungen« zählt, wirft kein gutes Licht auf ihn. Und das ist nicht der einzige Fleck auf seiner Weste. Führt er in der traurigen Ehe mit der scheidungsunwilligen Olga noch mit einigem Recht ein Doppelleben, so wird das Spiel jetzt Gewohnheit. Wieder reist Marie-Thérèse im Sommer Pablo hinterher, Maya im Schlepptau und mit Dora eine größere Rivalin im Visier, als Olga es je war. Die aber wird über Paulo stets auf dem Laufenden gehalten, wo der abtrünnige Gemahl seine Zelte aufschlägt. Der lacht sich ins Fäustchen, wenn Olga dann auf der Szene erscheint und laut zeternd eine solche veranstaltet. Drama, Baby! Auch Doras Stellung ist nicht unangefochten. Pablos Begeisterung für Frauen ist unermüdlich. Hier ein Flirt, da eine Flamme und dann noch Nush Éluard, das freche kleine Frauchen seines Freundes Paul …
Manchmal macht es ihm einfach nur Spaß, Dora zu reizen. Herrlich, ihre Eifersuchtsanfälle! Bald ist aus der verführerischen, selbstsicheren Femme fatale seine »Weinende Frau« geworden. Was in »Guernica« Motiv tiefsten Leids ist, variiert er nun in einer Reihe von Bildern, die seine Geliebte als aufgelöstes Häufchen Elend zeigen. Was, das soll Dora sein?! Die vor kurzem noch strahlende, auf den Maler und die Welt herabschauende Intellektuelle – ein heulendes Tränentier! Oh, das Bild an sich ist toll, Pablo. Dieser in die Ecke abgeschobene Kopf vor der großen Leere in kaltem Magenta-Rot! Das aus den Fugen geratene, verschmierte Gesicht mit taumelnden Augen und schleimklebriger Nase! Der verkrampfte Mund, das matte
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