Packeis
Austin in Bewegung.
Aufgrund früherer Erfahrungen rechnete er damit, dass der Wal im letzten Moment unter dem Kajak durchtauchen würde. Aber als er nur noch wenige Meter weit weg war, richtete der Wal sich abermals auf und öffnete sein Maul. Die Reihen rasiermesserscharfer Zähne im rosigen Maul befanden sich in Reichweite. Ungläubig starrte Austin in den Walschlund. Es war, als hätte sich ein von allen geliebter Zirkusclown plötzlich in ein Monstrum verwandelt. Die Kiefer begannen sich zu schließen. Geistesgegenwärtig rammte Austin das hölzerne Paddel in das Maul des Meeressäugers. Ein lautes Knacken ertönte, als die Zähne das Paddel zermalmten.
Der massige Körper des Wals kippte nach vorne auf den Vorderteil des fünfunddreißig Pfund schweren Kajaks und verwandelte es in einen Splitterregen. Austin landete im kalten Wasser. Er versank sekundenlang, dann stieg er zur Oberfläche hinauf, getragen von seiner Schwimmweste. Er spuckte einen Mund voll Meerwasser aus und drehte sich um. Zu seiner Erleichterung entfernte sich die Rückenflosse von ihm.
Die Walherde befand sich zwischen Austin und einer nahen Insel. Anstatt diese Richtung einzuschlagen, schwamm er weiter hinaus in die Bucht. Nach ein paar Zügen hielt er inne und wälzte sich auf den Rücken. Die Gänsehaut, die seinen Rücken überspannte, rührte nicht alleine vom kalten Wasser her.
Eine Phalanx von Rückenflossen machte Jagd auf ihn. Er streifte seine Wasserschuhe ab und schlängelte sich aus seiner Schwimmweste, die ihn nur behinderte. Er wusste, dass diese Aktion eigentlich sinnlos war. Auch ohne Schwimmweste hätte er sich einen Außenbordmotor auf den Rücken schnallen müssen, um einem Orca zu entkommen. Mörderwale schafften Geschwindigkeiten von bis zu fünfundvierzig Kilometern in der Stunde.
Austin hatte sich seinen menschlichen Gegnern stets mit eisiger Ruhe und Gelassenheit gestellt, aber dies hier war etwas anderes. Er wurde von einem urzeitlichen Grauen gepackt, das schon seine steinzeitlichen Vorfahren durchlebt haben mussten, nämlich von der Angst, aufgefressen zu werden. Während sich die Wale näherten, konnte er deutlich das leise wässrige Gurgeln hören, das sie erzeugten, als sie Luft durch ihre Blaslöcher ausstießen.
Schuuhhf-schuuhhf.
In dem Augenblick, als er damit rechnete, dass scharfe Zähne sich in sein Fleisch bohren würden, wurde der Chor nasser Atemgeräusche vom Dröhnen starker Motoren zugedeckt. Mit vom Wasser halb geblendeten Augen erkannte er Sonnenreflexe auf einem Bootsrumpf. Hände streckten sich ihm entgegen, um seine Arme zu packen. Seine Knie prallten schmerzhaft gegen den harten Kunststoffrumpf des Bootes, und er rutschte schlaff wie ein Fisch am Haken auf das Deck.
Ein Mann beugte sich über ihn. »Sind Sie okay?«
Austin füllte seine Lungen gierig mit frischer Luft und bedankte sich dann bei dem unbekannten Samariter für seine Hilfe.
»Was ist passiert?«, wollte der Mann wissen.
»Ich wurde von einem Wal angegriffen.«
»Das ist unmöglich«, erwiderte der Mann. »Sie sind doch wie große, zutrauliche Hunde.«
»Sagen Sie das mal den
Walen
.«
Austin kämpfte sich auf die Füße. Er befand sich auf einem perfekt ausgestatteten Powerboot von etwa zehn Metern Länge.
Der Mann, der ihn aus dem Wasser gezogen hatte, hatte einen glatt rasierten Schädel, auf dessen Haut eine Spinne tätowiert war. Seine Augen versteckten sich hinter den verspiegelten blauen Gläsern einer Sonnenbrille, und bekleidet war er mit einer schwarzen Jeans und einer ebenfalls schwarzen Lederjacke.
Hinter dem Mann war auf dem Deck ein etwa zwei Meter hohes, nach oben spitz zulaufendes Gerüst aus Stahlstäben verankert. Dicke Stromkabel schlängelten sich wie Lianen von der Konstruktion in alle Richtungen weg. Austin betrachtete das seltsame Gebilde sekundenlang, doch weit mehr interessierte ihn, was im Wasser vor sich ging.
Die Orcaherde, die ihn gejagt hatte wie ein Rudel hungriger Seewölfe, wendete sich von dem Boot ab und steuerte nun auf die anderen Kajakfahrer zu. Ein paar Leute hatten wohl gesehen, wie Austin gekentert und im Wasser gelandet war, aber sie hatten sich nicht nahe genug befunden, um Zeugen der Attacke zu sein. Nun, da Austin nicht mehr die Vorhut bildete, waren die anderen Rennteilnehmer verwirrt. Einige paddelten langsam weiter. Die meisten hatten jedoch die Paddel sinken lassen und im Wasser angehalten, wo sie nun trieben wie Gummienten in einer Badewanne.
Die Orcas kamen den
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