Paganinis Fluch - Kepler, L: Paganinis Fluch - Paganinikontraktet
das?«
Axel wendet den Blick zum Fenster. Das große zitternde Laubwerk spiegelt sich im Glas.
»Sprechen Sie bitte weiter«, sagt Joona.
»Ich habe sicher nicht alle Stücke gehört, die sie gespielt haben …«
Axel zuckt entschuldigend mit den Schultern.
»Aber Sie meinen, dass man diese Töne in einem bestimmten Stück finden kann?«
»Diese Kombination gibt es meines Wissens nur an einer Stelle«, sagt Axel. »In Takt 156 im ersten Satz von Béla Bartóks zweitem Streichquartett.«
Wieder greift er zur Geige und setzt sie an.
»Tranquillo … die Musik wird ganz wundersam still, wie ein Wiegenlied. Hören Sie sich die erste Stimme an«, sagt er und beginnt zu spielen.
Seine Finger bewegen sich zärtlich, die Töne vibrieren, wiegen sich sanft, hell und ganz weich. Nach nur vier Takten hört er auf zu spielen.
»Die beiden Geigen folgen einander, es sind die gleichen Töne, aber in verschiedenen Oktaven«, erläutert er. »Es ist fast schon zu schön, aber zum A-Dur-Akkord des Cellos bilden die Geigen Dissonanzen … auch wenn man sie nicht so wahrnimmt, weil sie eine Art Überleitungstöne sind, die …«
Er bricht ab, verstummt und legt die Geige fort.
Joona sieht ihn an.
»Sie sind ganz sicher, dass die Musiker auf dem Bild Bartóks zweites Streichquartett spielen?«, fragt er leise.
»Ja.«
Joona geht ein paar Schritte quer über die Terrasse, bleibt bei den Fliederdolden stehen und überlegt, dass er wahrscheinlich alles gehört hat, was er benötigt, um den Zeitpunkt des Treffens ermitteln zu können.
Er lächelt in sich hinein, verbirgt das Lächeln hinter seiner Hand, dreht sich um, nimmt sich einen roten Apfel aus der Schüssel auf dem Mosaiktisch und begegnet anschließend Axels fragendem Blick.
»Sie sind sich wirklich absolut sicher?«, fragt er erneut.
Axel nickt, und Joona gibt ihm den Apfel, entschuldigt sich, zieht das Handy aus seiner Jacketttasche und ruft Anja an.
»Anja, ich habe es gerade ziemlich eilig …«
»Wir wollten doch am Wochenende in die Sauna gehen.«
»Ich brauche deine Hilfe.«
»Ich weiß«, kichert Anja.
Joona versucht die Aufregung in seiner Stimme zu beherrschen.
»Kannst du das Repertoire des Tokyo String Quartetts in den letzten zehn Jahren ermitteln?«
»Ich habe ihr Repertoire schon ermittelt.«
»Kannst du herausfinden, was sie in diesem Zeitraum in der Alten Oper in Frankfurt gespielt haben?«
»Ja, sie sind dort jedes Jahr aufgetreten, manchmal sogar mehrmals.«
»Haben sie irgendwann Béla Bartóks zweites Streichquartett gespielt?«
Nach etwas Bedenkzeit antwortet sie:
»Ja, ein einziges Mal, Opus siebzehn.«
»Opus siebzehn«, wiederholt Joona und sieht Axel Riessen an, der bestätigend nickt.
»Was ist?«, fragt Anja.
»Wann?«, erkundigt sich Joona. »Wann haben sie Bartóks zweites Streichquartett gespielt?«
»Am dreizehnten November 2009.«
»Bist du sicher?«, fragt Joona.
Die Personen auf dem Foto haben sich acht Monate nach der Ausstellung des Haftbefehls gegen den sudanesischen Präsidenten getroffen, denkt er. Pontus Salman hat uns angelogen. Sie haben sich im November 2009 getroffen. Deshalb ist das alles geschehen. Menschen sind tot, und weitere werden unter Umständen sterben.
Joona streckt die Hand aus und berührt die violetten Fliederblüten, riecht den Rauch von einem Grill in einem benachbarten Garten und denkt, dass er Saga Bauer erreichen und ihr von diesem Durchbruch erzählen muss.
»War das alles?«, fragt Anja am Telefon.
»Ja.«
»Darf man auch das kleine Zauberwort hören?«
»Ja, entschuldige … Kiitokseksi saat pusun «, sagt Joona, »als Dank bekommst du einen Kuss.« Er beendet das Gespräch.
Pontus Salman hat uns angelogen, denkt er erneut. Als er sich mit Palmcrona, Raphael Guidi und Agathe al-Haji traf, gab es ein Waffenembargo. Alle Geschäfte dieser Art waren verboten,es gab keine Ausnahmen oder Schlupflöcher. Aber Agathe al-Haji wollte Munition kaufen, und die anderen wollten Geld verdienen. Die Menschenrechte oder internationales Recht waren ihnen völlig egal.
Pontus Salman hat mit eiskalter Stimme den falschen Zeitpunkt angegeben. Er dachte, ein paar überraschende Wahrheiten in seinen Ausführungen würden seine Lüge verbergen. Weil er ohne Umschweife gestand, dass er auf dem Bild zu sehen war, glaubte er, dass wir uns zufrieden geben und seine Lüge über den Zeitpunkt des Treffens schlucken würden.
Joona sieht Salman vor sich, sein regungsloses Gesicht, graublass und mit
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