Paganinis Fluch - Kepler, L: Paganinis Fluch - Paganinikontraktet
Tabletten nicht nimmst?«
»Nein«, sagt er.
»Nimmst du sie denn?«
»Ich werde sie bald wieder nehmen«, antwortet er ein wenig ungeduldig.
Sie sagt nichts, ihre hellgrünen Augen begegnen nur kurz seinen grauen. Dann atmet sie tief durch und schlägt vor zu gehen.
»Jedenfalls war es ein sehr schönes Konzert«, sagt Disa. »Die Musik passte irgendwie zu dem Licht, das von draußen hereinfiel, es war ganz sanft. Ich habe gedacht, Paganini wäre immer … du weißt schon, artistisch und schnell … Ich habe Yngwie Malmsteen mal im Vergnügungspark Gröna lund Caprice Nummer 5 spielen hören.«
»Als du mit Benjamin Gantenbein zusammen warst.«
»Nach all den Jahren sind wir heute Freunde bei Facebook.«
Sie spazieren Hand in Hand über Slussen zur Skeppsbron hinunter.
»Müsste man nicht an den Fingern ablesen können, welche Töne jemand auf einer Geige spielt?«, fragt Joona.
»Ohne etwas zu hören, meinst du?«
»Auf einem Foto.«
»In etwa, würde ich denken … wahrscheinlich kommt es ganz darauf an, wie gut man das Instrument beherrscht«, sagt sie.
»Aber wie exakt kann man sein?«
»Wenn es wichtig ist, könnte ich Kaj fragen«, sagt sie.
»Kaj?«
»Kaj Samuelsson am Musikwissenschaftlichen Institut. Ich habe Übungsfahrten mit dem Auto mit ihm gemacht, kenne ihn aber eigentlich über Vater.«
»Könntest du ihn anrufen?«
»Okay«, sagt Disa und hebt die Augenbrauen ein wenig. »Du willst, dass ich ihn jetzt anrufe?«
»Ja«, antwortet Joona.
Sie lässt seine Hand los, holt ihr Handy heraus, sucht in ihrem Telefonbuch und ruft den Professor an.
»Hier spricht Disa«, sagt sie. »Störe ich dich in der Mittagspause?«
Joona hört eine Männerstimme in den Hörer sprechen. Nachdem sie eine Weile geplaudert haben, fragt Disa:
»Du, ich stehe hier mit einem guten Freund, der möchte, dass ich dir eine Frage stelle.«
Sie lacht über etwas, was am anderen Ende gesagt wird, und fragt dann ohne Umschweife:
»Kann man sehen, welche Töne ein Geiger spielt … nein, nicht so … ich meine an den Fingern.«
Joona betrachtet Disa, die mit gerunzelter Stirn lauscht. Irgendwo aus den Gassen der Altstadt ertönt Marschmusik.
»Okay«, sagt Disa nach einer Weile. »Weißt du was, Kaj, ich glaube, es ist besser, wenn du selbst mit ihm sprichst.«
Wortlos reicht sie das Telefon an Joona weiter.
»Joona Linna.«
»Über den Disa so oft spricht«, ergänzt Kaj Samuelsson mit heiterer Stimme.
»Eine Geige hat nur vier Saiten«, beginnt Joona, »im Grunde sollte man nicht so viele unterschiedliche Töne spielen können …«
»Was meinen Sie mit spielen?«, erkundigt sich der Professor.
»Der tiefste Ton muss die G-Saite sein«, sagt Joona mit ruhiger Stimme. »Und irgendwo wird es dann ja wohl auch einen höchsten Ton geben, der …«
»Ein guter Gedanke«, unterbricht der Professor ihn. »Der französische Wissenschaftler Mersenne veröffentlichte 1636 die ›Harmonie Universelle‹. In diesem Werk erwähnt er, dass die besten Geiger bis zu einer Oktave über jeder Saite spielen können. Das bedeutet, der Tonumfang reicht vom tiefen G bis zum dreigestrichenen E … was uns insgesamt vierunddreißig Töne in einer chromatischen Tonleiter beschert.«
»Vierunddreißig Töne«, wiederholt Joona.
»Aber wenn wir über Musiker in etwas modernerer Zeit sprechen«, fährt Samuelsson fort, »hat sich der Umfang dem neuen Fingersatz folgend erweitert … und man rechnet fortan damit,das dreigestrichene A zu erreichen und damit eine chromatische Tonleiter mit neununddreißig Tönen zu bekommen.«
»Sprechen Sie weiter«, sagt Joona und sieht, wie Disa vor einer Galerie mit einigen seltsamen, verwischten Bildern stehen bleibt.
»Aber schon seitdem Richard Strauss Berlioz’ Instrumentenlehre von 1904 revidierte, wird das viergestrichene G als höchstmöglicher Ton für einen Orchestergeiger angegeben, was neunundvierzig Tönen entspricht.«
Angesichts von Joonas abwartendem Schweigen lacht Kaj Samuelsson in sich hinein.
»Die obere Grenze ist bei Weitem noch nicht erreicht«, erläutert der Professor. »Außerdem kann man ein ganzes Register von Flageoletttönen und Vierteltönen hinzufügen.«
Sie kommen an einem neu gebauten Wikingerschiff am Schlosskai vorbei und nähern sich dem Park Kungsträdgården.
»Und bei einem Cello?«, unterbricht Joona ungeduldig.
»Achtundfünfzig«, antwortet der Professor.
Disa wirft ihm einen ungeduldigen Blick zu und zeigt auf ein
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