Paganinis Fluch - Kepler, L: Paganinis Fluch - Paganinikontraktet
der jungen Frau erzählt, die man tot auf einem Motorboot in den Stockholmer Schären gefunden hatte. Im Protokoll hielt Benny Rubin fest, dass die Ermittlungen keine Eile erforderten und man die Untersuchung der Wasserschutzpolizei abwarten würde.
Joona kam ein bisschen zu spät, und die Besprechung hatte kaum begonnen, als auch schon John Bengtsson von der Schutzpolizei anrief. Die beiden kannten sich seit vielen Jahren und spielten seit über einem Jahrzehnt Hallenbandy gegeneinander. John Bengtsson war ein sympathischer Mann, aber als bei ihm Prostatakrebs diagnostiziert wurde, verkrümelten sich die meisten seiner Freunde. Mittlerweile war John Bengtsson zwar wieder kerngesund, aber wie viele Menschen, die einmal zu spüren bekommen haben, wie sich die Übermacht des Todes vor ihnen auftürmt, hatte er etwas Zerbrechliches, Zauderndes.
Joona stand im Korridor vor dem Besprechungszimmer und lauschte John Bengtssons bedächtigen Worten. Die Stimme des Polizeibeamten war von jener jähen Müdigkeit erfüllt, die sich in den Minuten nach starkem Stress einstellt. Er beschrieb, wie er unmittelbar zuvor den Generaldirektor der Staatlichen Waffenkontrollbehördein seiner Wohnung erhängt aufgefunden hatte.
»Selbstmord?«, erkundigte sich Joona.
»Nein.«
»Mord?«
»Kannst du nicht einfach herkommen?«, fragte John. »Was ich sehe, passt irgendwie nicht zusammen. Der Körper schwebt über dem Fußboden, Joona.«
*
Gemeinsam mit Nathan Pollock und Tommy Kofoed hatte Joona soeben konstatiert, dass es sich um einen Selbstmord handelte, als es an der Tür von Palmcronas Wohnung klingelte. Im Zwielicht auf dem Treppenabsatz stand eine große Frau mit Lebensmitteltüten in ihren breiten Händen.
»Haben Sie ihn heruntergeholt?«, fragte sie.
»Heruntergeholt?«, wiederholte Joona.
»Direktor Palmcrona«, erwiderte sie.
»Was meinen Sie mit herunterholen?«
»Ich bitte um Entschuldigung, ich bin nur die Haushälterin, ich dachte …«
Die Situation machte sie verlegen, und sie begann, die Treppe hinunterzugehen, blieb jedoch abrupt stehen, als Joona ihre Frage beantwortete:
»Er hängt noch.«
»Ja«, hatte sie gesagt und ihn mit einem vollkommen ausdruckslosen Gesicht angesehen.
»Haben Sie ihn heute dort hängen sehen?«
»Nein«, antwortete sie.
»Was hat sie dann veranlasst, mich zu fragen, ob wir ihn heruntergeholt haben? Ist etwas passiert? Haben Sie etwas Besonderes gesehen?«
»Eine Schlinge, die von einem Lampenhaken im kleinen Salon herabhing«, lautete ihre Antwort.
»Sie haben die Schlinge gesehen?«
»Selbstverständlich.«
»Hatten Sie denn nicht die Befürchtung, dass er sie benutzen könnte?«, fragte Joona.
»Sterben ist kein Albtraum«, antwortete sie mit einem zurückhaltenden Lächeln.
»Was haben Sie gesagt?«
Die Frau hatte nur den Kopf geschüttelt.
»Was denken Sie, wie ist er gestorben?«, fragte Joona sie daraufhin.
»Ich denke mir, dass sich die Schlinge um seinen Hals zuzog«, antwortete sie leise.
»Und wie kam die Schlinge um seinen Hals?«
»Ich weiß nicht … vielleicht brauchte sie Hilfe«, meinte sie fragend.
»Was meinen Sie mit Hilfe?«
Ihre Augen rollten nach hinten, und Joona dachte schon, dass sie ohnmächtig werden würde, aber dann stützte sie sich mit der Hand an der Wand ab und begegnete von Neuem seinem Blick.
»Man findet überall hilfsbereite Menschen«, sagte sie schwach.
8
Åhlén
Das Schwimmbad des Landespolizeiamts ist still und leer, hinter der Glaswand ist es ruhig, und in der Cafeteria sitzen keine Gäste. Das Wasser in dem großen blauen Becken ist fast spiegelglatt. Das Licht der Unterwasserlampen, die das Becken von unten beleuchten, schaukelt langsam auf Wänden und Decke. Joona Linna schwimmt eine Bahn nach der anderen, hält sein Tempo und kontrolliert den Rhythmus seiner Atemzüge.
Er schwimmt, während verschiedene Erinnerungen durch sein Bewusstsein taumeln, zum Beispiel Disas Gesicht, als sie meinte, ihre Zähne würden kribbeln, wenn sie ihn sehe.
Joona erreicht den Beckenrand, wendet unter Wasser und stößt sich mit den Beinen ab. Es ist ihm nicht bewusst, dass er schneller schwimmt, als er sich in Gedanken plötzlich in Carl Palmcronas Wohnung in der Grevgatan befindet. Erneut betrachtet er den hängenden Körper, die Urinpfütze, die Fliegen im Gesicht. Der Tote hatte Mantel und Schuhe angehabt, sich aber trotzdem die Zeit genommen, Musik anzustellen.
Das Ganze hatte Joona das Gefühl einer zugleich geplanten und
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