Paganinis Fluch - Kepler, L: Paganinis Fluch - Paganinikontraktet
Nathan Pollock.
»Ich denke, das ist nichts für mich«, antwortet Joona.
Alle senken die Blicke, jemand nickt, und Joona entschuldigt sich, als sein Handy klingelt. Er steht vom Tisch auf und verlässt den Raum. Eine Minute später kehrt er zurück und nimmt sein Jackett vom Stuhl.
»Es tut mir leid«, sagt er, »ich hätte wirklich gerne an unserer Besprechung teilgenommen, aber …«
»Ist etwas passiert?«, erkundigt sich Carlos.
»John Bengtsson von der Schutzpolizei hat mich angerufen«, sagt Joona. »Er hat gerade Carl Palmcrona gefunden.«
»Gefunden?«, fragt Carlos.
»Erhängt«, antwortet Joona.
Sein symmetrisches Gesicht wird sehr ernst, und seine Augen schimmern wie graues Glas.
»Wer ist Palmcrona?«, fragt Nathan Pollock.
»Der Generaldirektor der Staatlichen Waffenkontrollbehörde«, antwortet Tommy Kofoed schnell. »Er ist der Mann, der über schwedische Waffenexporte entscheidet.«
»Haben nicht alle Stellen bei der Kontrollbehörde eine hohe Sicherheitsstufe?«, fragt Carlos.
»Allerdings«, antwortet Kofoed.
»Dann sollte sich das auch jemand vom Staatsschutz ansehen.«
»Aber ich habe John Bengtsson nun einmal versprochen zu kommen«, entgegnet Joona. »Irgendetwas stimmt da nicht.«
»Was?«
»Es war … Nein, ich muss es erst mit eigenen Augen sehen.«
»Klingt interessant«, sagt Tommy Kofoed. »Darf ich mitkommen?«
»Wenn du willst«, antwortet Joona.
»Wenn das so ist, bin ich auch dabei«, erklärt Pollock schnell.
Carlos versucht, die Besprechung wieder aufzunehmen, erkennt jedoch, dass es zwecklos ist. Die drei verlassen das sonnendurchflutete Besprechungszimmer und treten in die Kühle des Korridors hinaus.
6
Wie der Tod kam
Zwanzig Minuten später parkt Kriminalkommissar Joona Linna seinen schwarzen Volvo auf dem Strandvägen. Hinter ihm hält ein silbergrauer Lincoln Towncar. Joona steigt aus seinem Wagen und wartet auf die beiden Kollegen von der Landesmordkommission. Gemeinsam gehen sie um die Straßenecke und betreten das Haus Grevgatan 2.
Im alten, knarzenden Aufzug ins oberste Stockwerk fragt Tommy Kofoed mit seiner schroffen Stimme, was Joona bislang erfahren hat.
»Die Kontrollbehörde hat Carl Palmcrona als vermisst gemeldet«, berichtet Joona. »Er hat keine Familie, und keiner seiner Kollegen kannte ihn privat. Aber als er nicht zur Arbeit kam, wurde die Schutzpolizei gebeten, der Sache nachzugehen. John Bengtsson hat Palmcrona erhängt in seiner Wohnung gefunden und mich angerufen. Er meinte, er habe den Verdacht, dass es sich um ein Verbrechen handelt, und wollte, dass ich sofort vorbeikomme.«
Nathan Pollocks wettergegerbtes Gesicht verzieht sich.
»Was hat ihn denn dazu gebracht, ein Verbrechen zu vermuten?«
Der Aufzug hält, und Joona zieht das Gitter zur Seite. Vor der Tür zu Palmcronas Wohnung steht John Bengtsson. Er stopft ein Taschenbuch in die Jackentasche und gibt Joona die Hand.
»Das sind Tommy Kofoed und Nathan Pollock von der Landesmordkommission«, erläutert Joona.
»Also, die Tür war nicht abgeschlossen, als ich kam«, berichtet John, nachdem die Männer sich kurz begrüßt haben. »Ich habe Musik gehört und Palmcrona erhängt in einem der großen Zimmer gefunden. Im Laufe der Jahre habe ich ziemlich viele Burschen heruntergeholt, aber diesmal, ich meine … es dürfte sich kaum um Selbstmord handeln, und in Anbetracht von Palmcronas gesellschaftlicher Stellung dachte ich …«
»Es war gut, dass du angerufen hast«, sagt Joona.
»Hast du den Toten angefasst?«, fragt Tommy Kofoed mürrisch.
»Ich habe nicht einmal das Zimmer betreten«, antwortet John.
»Sehr gut«, murmelt Kofoed und beginnt, zusammen mit John Bengtsson Trittplatten auszulegen.
Kurz darauf können auch Joona und Nathan Pollock den Flur betreten. John Bengtsson erwartet sie neben einem blauen Sofa. Er zeigt auf die Doppeltür, die zu einem hellen Raum führt und einen Spaltbreit offen steht. Joona geht über die Trittplatten und stößt die Flügel der Tür weit auf.
Warmes Sonnenlicht flutet durch eine Reihe hoher Fenster herein. Carl Palmcrona hängt mitten in dem geräumigen Zimmer. Er trägt einen hellen Anzug, einen Sommermantel und dünne Halbschuhe. Fliegen krabbeln über sein bleiches Gesicht, um Augen und Mundwinkel, legen kleine gelbe Eier und umschwirren die Urinpfütze und den schlanken Aktenkoffer auf dem Fußboden. Die dünne Wäscheleine hat sich tief in Palmcronas Hals eingeschnitten, die Schnurfurche ist dunkelrot, und es ist Blut
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