Pain - Bitter sollst du buessen
entsetzt zurück. »Umgebracht? Aber … O Gott, das ist krank!«
»Mehr als krank.« Tiny verschränkte die Arme vor der Brust.
»Meine Spezialität«, erinnerte Sam, die sich langsam wieder gefasst hatte, ihre Kollegen. »Vergesst nicht, ich bin Seelenklempnerin.«
Das Telefon klingelte, und alle zuckten zusammen. Leitung zwei blinkte ungeduldig. »Ich gehe ran. Das ist wahrscheinlich Eleanor.« Sam drückte die Mithörtaste. »Hi, hier ist Samantha.«
»Gut, dass ich dich an der Strippe habe.«
Sie erstarrte. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. »Wer spricht da?«, fragte sie, obwohl sie die weiche Stimme auf Anhieb erkannt hatte. John. Er lauerte irgendwo da draußen. Er hatte also seinen Terror keineswegs eingestellt. Ließ sich lediglich Zeit. Wartete ab, bis sie sich beruhigt hatte, um sie dann wieder aufzuscheuchen.
»Treib keine Spielchen mit mir, Samantha. Du weißt, wer ich bin.«
»Du bist derjenige, der Spielchen treibt.«
»Ach ja? Mag sein. Haben wir denn nicht viel Spaß?«
Sam hätte am liebsten den Hörer aufgeknallt, doch sie durfte die Verbindung jetzt nicht unterbrechen, nicht, wenn sie diesen Widerling schnappen wollte. Während sie weiterredete, machte sie Tiny aufgeregt Zeichen und deutete auf den Rekorder. »Als Spaß würde ich das nicht bezeichnen, John«, sagte sie und hoffte, dass Tiny und Melanie rechtzeitig dafür sorgten, dass alles aufgenommen wurde. »Das ist ganz und gar kein Spaß.«
»Ich habe heute deine Sendung gehört.«
Plötzlich aktiv geworden, drückte Tiny die maßgeblichen Tasten und nickte Sam rasch zu. Der Rekorder begann mit der Aufzeichnung. Melanie starrte wie hypnotisiert auf das Telefon.
»Aber du hast nicht angerufen.«
»Ich rufe jetzt an«, antwortete er mit seiner wohlklingenden Stimme.
Hatte sie diese Stimme schon einmal woanders gehört? Oder hatte er sie angerufen, ohne sich als John vorzustellen? War er jemand, den sie kannte? Denk nach, Sam, denk nach! Dieser Kerl tut so, als wäre er dir schon mal begegnet …
»Ich wollte mit dir allein reden. Was wir zu besprechen haben, ist ganz persönlich.«
»Ich weiß nicht mal, wer du bist.«
Sein Lachen klang dunkel und hallte durch den Raum.
Melanie biss sich auf die Unterlippe. Hinter den Brillengläsern traten Tinys Augen beinahe aus den Höhlen.
Die Kabine erschien Sam eng und düster, die Töne, die aus dem Lautsprecher drangen, waren bedrohlich. Schweiß prickelte auf ihrer Kopfhaut.
»Aber natürlich weißt du, wer ich bin, Frau Doktor, du erinnerst dich bloß nicht. Kannst du immer noch nicht zwei und zwei zusammenzählen? Trotz deines Titels und so weiter …«
»Was willst du von mir?«, fragte sie, sank auf einen Stuhl und starrte den Lautsprecher an, als könnte sie ihn dazu zwingen, ein Bild des Mannes hervorzubringen. »Warum rufst du mich an?« Sie konnte kaum klar denken, doch sie wusste, dass sie ihn in der Leitung halten musste. Aus einem Becher auf dem Schreibtisch nahm sie einen Kuli, drehte Tinys Liste um, kritzelte rasch eine Notiz darauf – Ruft die Polizei – und schob sie Melanie zu.
»Weil ich dich kenne, wie du wirklich bist, Samantha. Ich weiß, dass du eine heißblütige Fotze bist. Scheinheilig. Dieser Titel, auf den du so stolz bist, ist das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist.« Er steigerte sich in Wut hinein, seine wohltönende Stimme klang aufgeregt. »Frauen wie du müssen bestraft werden.« Seine Worte flossen immer schneller aus dem Lautsprecher, und Melanie eilte aus dem Raum und ins Studio nebenan. Durch die Scheibe sah Sam, wie sie das Licht einschaltete und den Kopfhörer aufsetzte. Melanie blickte über die Schulter zu ihnen herüber, nickte, drückte die Taste einer freien Leitung, wählte hastig und nickte Sam und Tiny erneut zu. Das Lämpchen für Leitung drei begann zu blinken.
Animier ihn zum Reden, Sam. Vielleicht unterläuft ihm ein Fehler. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, den Anruf zurückzuverfolgen.
»Du bist eine Hure, Dr. Sam«, warf John ihr vor. »Eine Nutte für fünfzig Dollar pro Stunde!«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.« Versuche, ruhig zu bleiben. Halt ihn in der Leitung, verdammt. Finde mehr über ihn heraus, damit die Polizei Anhaltspunkte bekommt. Ihr Herz raste.
»Alles liegt in deiner Vergangenheit, Dr. Sam, in deiner Vergangenheit, die du vor der Welt verbirgst. Aber ich weiß alles. Ich war dabei. Ich erinnere mich an die Zeit, als du dich auf der Straße verkauft hast. Du bist eine Nutte –
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