Pakt der Könige
eine Entscheidung fällt. Jedes Mal werden Merinas Eltern ausgegangen sein. Sie können einen solchen Verstoß gegen die Sitten nicht durch ihre Gegenwart gutheißen. Aber wenn sie spazieren gehen, können sie vorgeben, sie wüssten nicht, dass Ihr ihre Tochter in ihrer Abwesenheit besucht habt.«
Die kleine Holztür knarrte, als sie ins Haus traten. Sie gingen durch einen dunklen Gang und betraten dann ein kleines Empfangszimmer, in dem, wie in der Tränenstadt, Lichtstrahlen durch die Fensterläden drangen und den tanzenden Staub wie goldenen Regen wirken ließen.
Die weiß gekalkten Wände waren alt, aber makellos sauber. Holzschnitzereien hingen an der Wand; auf dem Boden waren schöne, bestickte Lederkissen ausgelegt. Es gab niedrige Tische aus kostbaren Hölzern, Bücher und Schriftrollen.
Und in der Mitte des Zimmers stand ein Käfig, in dem sich eine Frau befand.
Arekh wankte. Das Unwohlsein, das ihn überkam, folgte
keiner Logik, keiner Vernunft. Er hatte schon viel Schlimmeres gesehen als ein eingesperrtes junges Mädchen: Er hatte Massaker gesehen, Leichenteile … Er war so oft mit den Schrecken der Welt konfrontiert worden, dass er beinahe darin ertrunken war …
Und dennoch erschien es ihm plötzlich ohne Grund so, als ob die ganze Grausamkeit und Torheit der Welt hierin symbolisiert war, als ob alle Gesetze, alle Sitten und all das unnötige Leid sich wie Schnüre - nein, wie die Fäden, die, wie man sagte, das Schicksal der Menschen bestimmten - umeinanderschlangen und einen Knoten bildeten. Einen Knoten, der hier, vor seinen Augen, zum Sinnbild für eine Welt wurde, in der Eltern ihr heißgeliebtes Kind in einen eisernen Käfig sperrten …
… weil es seit Jahrtausenden so Sitte war, weil es noch in vielen tausend Jahren so sein würde, weil nichts sich jemals änderte, weil nichts sich jemals ändern würde und weil die Menschen nichts als Kiesel waren, die vom Wasser des Flusses der Menschheit mitgerissen wurden, ohne seinen Lauf ändern zu können.
»Guten Tag«, sagte er mit rauer Stimme. » Ayama «, setzte er hinzu, indem er sich leicht vor der Silhouette im Käfig verneigte.
Er hätte gern noch etwas hinzugefügt, ein Kompliment, etwas Liebenswürdiges, aber er war dazu nicht in der Lage. Der Schock hatte ihn geschwächt, wirklich geschwächt, als seien seine Gliedmaßen ermüdet, weil er eine zu schwere Last getragen hatte, und als könne sein erschöpfter Geist keine Worte mehr finden.
Vor ihm stand keine Frau, sondern ein Gespenst, eine Silhouette, die von Kopf bis Fuß in einen blauen Schleier gehüllt war. Jedes Kompliment hätte hohl und lächerlich
geklungen; es hätte nur die Absurdität der Situation unterstrichen.
Pier trat bis an den Käfig heran und legte eine Hand auf einen Gitterstab. Im Innern des Käfigs zuckte das junge Mädchen erschrocken zurück wie ein eingesperrtes Tier.
»Es war abgemacht, dass wir Euer Gesicht sehen würden«, sagte er in harschem Tonfall. »Hier wird schließlich ein Handel abgeschlossen.«
»Lasst nur«, sagte Arekh, selbst erstaunt über die Gefühlsbewegung, die seiner Stimme anzuhören war. »Lasst nur, das ist nicht schlimm. Wir werden später darüber sprechen.«
Pier musterte die blaue Silhouette einen Moment lang und nickte dann. »Gut. Ich werde … hm, in der Küche vorbeischauen. Unterhaltet Euch!«
Er ging hinaus, und Arekh hörte, wie seine Schritte sich auf den Steinplatten des Bodens entfernten.
Stille senkte sich über das kleine Zimmer.
»Es tut mir leid«, sagte Arekh schließlich. »Es tut mir sehr leid.«
Es herrschte noch für einen Augenblick Schweigen, und Arekh wartete darauf, dass das Mädchen ihn fragen würde, warum ihm etwas leidtat; ihm ging auf, dass es ihm schwerfallen würde, seine Gründe zu erklären.
Endlich antwortete die junge Frau: »Es ist nicht Eure Schuld.«
Ihre Stimme war sanft, wohlerzogen, melodisch. Sie legte die Hand, die noch immer unter dem riesigen Schleier verborgen war, auf einen Gitterstab des Käfigs. Arekh sah, dass sie ein wenig zitterte.
»Habt Ihr Angst?«, fragte er behutsam.
Noch eine Pause; dann holte sie tief Atem. »Ja«, sagte sie. »Ihr werdet vielleicht … mein Ehemann werden.«
Welch unterschiedliche Bedeutungen Worte doch haben können, je nachdem, wer sie ausspricht , dachte Arekh. Aus dem Munde einer jungen Braut aus Reynes, die den Blumenkranz der Verlobten um die Stirn trug, hätte »Ehemann« erwartungsvoll geklungen, freudig, voll Hoffnung auf die Zukunft
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