Pakt der Könige
weiße Seide Fîrs, des größten der Götter. Schwarz und Silber, die Farben der Fürstentümer von Reynes. Mit diesen Standarten und Symbolen war Arekh aufgewachsen; sie gehörten zu seiner Familiengeschichte, seiner Kindheit, den enttäuschten Hoffnungen seines Vaters. Schwarz und Silber, stolze Farben, die für ihn den Beigeschmack des Todes hatten - wie verfaulende Blätter, Leichen, die in einem verborgenen Winkel der Ratsgebäude von Reynes zusammensanken, während Arekh die Kordeln von den Hälsen der Menschen löste, die er für Geld getötet hatte. Er sah wieder vor sich, wie das Banner von Reynes an Festtagen über den Mauern der Burg von Miras entrollt wurde - das gleiche Banner, das er später angehoben hatte, um in den großen Saal in Reynes zu spähen und Ratsherren auszuspionieren, die einander lächelnd verhüllte Todesdrohungen an den Kopf warfen.
Sein Lebensweg hatte ihn aus der Farblosigkeit zu den Farben geführt. Sein Schicksalsfaden hatte ihn aus dem Graubraun der Sümpfe in die Sonne gezogen, die den flatternden Schleiern der Frauen der großen Wüstenstadt einen goldenen Schimmer verlieh.
Ja, er war vorangekommen. Wie um das zu unterstreichen, verschwand der weiß-schwarz-graue Zug des Hohepriesters in der Menge, um vom Orange, Rot und Beige der Karawane des Emirs ersetzt zu werden. Die Melodien der vierzig jungen Frauen wurden schriller und durchdringender; sie erinnerten jetzt an die zeremonielle Musik von Faez. Arekh sah ihn … ihn, den Emir, dessen Soldaten Marikani und ihn meilenweit verfolgt hatten, ihn, der sie durch Schnee und schneidenden Wind hatte flüchten lassen, ihn, gegen dessen Truppen er im Norden von Harabec
gekämpft und dessen Staatsstreich er gerade noch verhindert hatte.
Arekh hatte sein Miniaturporträt in der Galerie der fremden Herrscher in Reynes gesehen. Seine Mächtigkeit, der dreifach von den Göttern gesegnete Emir, dessen Lächeln ewig währte, sah genauso aus wie auf seinem offiziellen Bildnis. Er war ein schöner Mann. Noch jung, elegant, sympathisch. Seine schwarzen Augen funkelten vor Intelligenz und Ironie, da ihn die Situation sicher amüsierte: Er wurde wie ein Retter in einer Stadt empfangen, die zu seinen wichtigsten Gegnern zählte, während die Frau, die er in einen Hinterhalt gelockt und die er mit allen Mitteln in eine Kerkerzelle hatte werfen wollen, um ein Lösegeld zu erpressen, sich einige Schritte hinter ihm befand … Und die sicher ebenso entschlossen war wie er, ausgesprochen liebenswürdig zu sein, wenn die Shi-Âr von Salmyra sie einander offiziell vorstellten.
Arekh wollte den nachfolgenden Zug nicht sehen. Er drehte sich um und drängte sich durch die Menge, um in die kleinen Gässchen im Norden der Innenstadt zu gelangen, die von Bäumen mit verschlungenen Ästen und süßlich duftenden Blättern beschirmt wurden. Er ging um den Palast herum und machte einen großen Umweg, aber durch die Wirtschaftsgebäude würde er heute schneller zu seiner Verabredung gelangen.
Du wirst ihr nicht für immer aus dem Wege gehen kön nen , sagte eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf, aber er wich dem Gedanken aus, wie er auch einem Dolchstoß ausgewichen wäre.
Arekh war immer ein hervorragender Fechter gewesen, und er verstand es zu parieren.
Der Schatten der Gässchen war nach der erdrückenden
Hitze der Menschenmenge und dem Gestank nach Schweiß und den Tieren des Zuges eine Erholung. Die Karawane aus Kiranya musste jetzt auf dem Vorplatz sein, während die aus Harabec sicher schon am Palast eingetroffen war, wo sich die Sänfte öffnete und …
Arekh konzentrierte sich auf den zugleich zarten und Übelkeit erregenden Geruch der Süßgrasbäume. Er leerte seinen Geist und richtete seine Aufmerksamkeit ganz auf das, was bevorstand.
Er stieß eine unter schweren, violetten Blüten fast zusammenbrechende Tür auf, durchschritt die stickigen Sklavenhöfe und betrat die Bibliothek.
Dort wartete Pier auf Arekh, um ihn zu einem Besuch bei seiner künftigen Frau mitzunehmen.
In Salmyra gab es, anders als in der Tränenstadt, keine Oberstadt, die den Adligen vorbehalten war: Die Stadt war flach, das Geld spielte eine größere Rolle als der Stand, und jedes Wohnhaus war eine Villa oder ein Palast. Es gab keine Armen in Salmyra: Angesichts der Wasserpreise wären sie verdurstet. Es gab nur reiche Händler, ihre Frauen, ihre Familien, ihre Sklaven und ihre Diener, die zwar üppig bezahlt wurden, für die eine Entlassung aber den Tod bedeuten
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