Pakt der Könige
dem alles begann.
Niemand sah es kommen. Weder die Priester, die in den Eingeweiden der Opfertiere lasen, noch die Sterndeuter, die den Himmel betrachteten, um die Zukunft vorauszusagen, noch die Soldaten, die Aufseher, die über Wasserträger, Bauarbeiter und angekettete Arbeiter in den Palmenhainen und Steinbrüchen wachten. Natürlich behaupteten am folgenden Morgen viele Dummköpfe, es hätte im Voraus eine ungewöhnliche Anspannung in der Luft gelegen, und
sie hätten verdächtige Blicke und fragwürdiges Gemurmel bemerkt … Aber sie logen. In Wirklichkeit hatte niemand etwas bemerkt, einen Verdacht gehabt oder etwas gesehen.
Deshalb war der Schock auch so heftig.
Als der zweite Mond seinen halben Lauf am Himmel vollzogen hatte und genau nördlich der Rune der Knechtschaft stand, töteten die Sklaven der Stallungen des Rats von Salmyra mit Mistforken die beiden Aufseher, die in der Scheune schliefen, und schichteten dann Stroh im Hof auf, übergossen es mit Öl und zündeten es an. Die Flammen schlugen wie ein Appell ins leuchtende Blau der Sommernacht empor, erfassten die Lagerschuppen und Dächer und ließen die aufgeregten Pferde wiehern. Als die Bewohner des Ratspalasts erwachten und in Panik gerieten, zogen die aufständischen Sklaven schon mit Mistgabeln und Messern bewaffnet in Dreiergruppen durch die Gänge und über die Höfe, drangen in jedes Zimmer ein und töteten ohne Unterschied alle, die sie fanden, Männer, Frauen, Kinder, entsetzte Dienerinnen und Diener, die sich unter den kostbaren Holzmöbeln ihrer Herren zu verstecken versuchten. In der ganzen Stadt loderten zur Antwort auf das erste Feuer weitere auf: in den Gärten, auf den Höfen, bei den Wasserbecken. Ohne einen einzigen Ruf, Befehl oder Schrei warfen die Sklaven jeder Villa von Salmyra ein letztes Scheit ins Feuer, drangen dann mit Küchenmessern und Dolchen, die sie ihren Herren gestohlen hatten, in Schlafzimmer und Wohnräume ein und schlugen zu.
Überall floss in dieser Nacht Blut: auf den leicht durchscheinenden Marmorböden, auf Fliesen und Mosaiken. Es färbte das so kostbare Wasser der Becken, in denen sich Höfe und Zimmer widerspiegelten. Es floss, während
Wut- und Schmerzensschreie ebenso laut wurden wie das erstickte Weinen von Kindern, die von denen erwürgt wurden, die ihnen vor einigen Stunden noch die Brust gegeben hatten, wie die Hilferufe erschrockener alter Damen, denen es noch mit aufgeschlitzter Kehle gelang, in seidenen Nachthemden auf die Straße hinauszustolpern, wo sie dann zusammenbrachen, ohne noch auf den Bürgersteig der frei geborenen Leute gelangen zu können, während die rote Flüssigkeit ihre Kleider neu färbte …
Arekh war auf den Mauern, sprach gerade in einem Wachturm mit Essin und trank heißen Tee, als er das orangefarbene Leuchten im Ratspalast wahrnahm. Einen kurzen Moment lang dachte er an das, das er vor einigen Tagen in der Wüste hatte aufleuchten sehen und das er ohne zu wissen, warum, mit den Geschöpfen der Abgründe und dem Massaker in dem Dorf in Verbindung brachte. Dann begann der Flammenschein sich im Dach des Palasts der Shi-Âr zu spiegeln, und Arekh stellte seine Teetasse auf den Boden.
»Ein Brand. Vielleicht reichen ihre Wasserreserven nicht aus. Essin, nehmt zehn Männer, ruft die Sklaven des Palasts zusammen und befehlt ihnen …«
In diesem Augenblick flammten weitere Lichter in der ganzen Stadt auf wie Blumen, die in der Dunkelheit erblühten.
Arekh erstarrte, und Essin neben ihm schnappte nach Luft, als unterhalb der Stadtmauern in einer der Offiziersvillen der entsetzliche, schrille Schrei einer Frau die Nacht durchschnitt.
»Die Kreaturen«, flüsterte Essin. »Oh, Götter, schließt uns in euren Segen mit ein …« Dann wandte er sich zur
Tür. »Wir werden uns vor Fîrs Angesicht wiedersehen, Aida.«
In Faez war dies der Abschiedsgruß derjenigen, die wussten, dass sie im Kampf fallen würden. Trotz seiner Angst, trotz der Schweißperlen, die ihm über die Schläfen strömten, würde Essin seine Männer zusammenrufen und sich in eine von vornherein zum Scheitern verurteilte Schlacht gegen die Verkörperungen des Bösen werfen …
Arekh packte ihn an der Schulter und hielt ihn auf. »Wartet!« Essin starrte ihn überrascht an. »Es hat keinen Zweck, sich blind in den Kampf zu stürzen. Wir brauchen eine Strategie.«
Er verließ den Turm und trat einige Schritte auf den Wehrgang hinaus. Den Blick noch immer auf die Lichter gerichtet, die überall in der
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