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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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machte sich in einem anderen Zimmer zurecht. Anscheinend hatte sie gerade ihren Mittagsschlaf gehalten, als Roxane eingetroffen war.
    Roxane sehnte sich danach, sich frisch zu machen, aber in dem Aufruhr bei ihrer Ankunft hatte man vergessen, ihr höflich einen Augenblick in einem Raum mit einer Waschschüssel zu gönnen.
    Roxane saß aufrecht und steif auf der Kante eines mit Chintz bezogenen Armsessels und hatte ihre verschränkten Finger zwischen den Falten ihres apfelgrünen Rocks verborgen. Ungeduldig sah sie sich in dem Zimmer um und lächelte ein- oder zweimal den Diener an, bevor sie feststellte, dass der Mann auf seinem Posten eingedöst war und sie gar nicht wahrnahm.
    Die Wände waren in einem blassen, hellen Grün gestrichen. In dem matten Licht, das durch die Lamellen der Bambusjalousien an den vom Boden bis zur Decke reichenden Fenstern drang, war die Farbe kaum zu sehen. Einige Ölgemälde waren strategisch platziert. Zwischen zwei der Bilder hing ein laienhaft anmutendes Aquarell. Die Möbel waren mit Chintz bezogen oder bestanden aus ungepolsterten Bambusrohren. In der gegenüberliegenden Ecke stand ein prächtiges Piano. Die Blumenvase auf dem Deckel spiegelte sich auf der akribisch polierten Fläche wider. Roxane fragte sich neugierig, wie ein solches Instrument in der abwechselnd feuchten und trockenen Hitze erhalten werden konnte. Als sie zufällig einen kleinen Spiegel an der Wand entdeckte, stand sie rasch auf, um ihre Frisur in Ordnung zu bringen.
    Beim Anblick ihres Spiegelbilds wich sie erschrocken zurück. Sie hielt sich nicht für eitel, aber ihr jetziges Aussehen war schlimmer, als sie befürchtet hatte. Ihre dichten dunkelbraunen Locken waren zerzaust und mussten dringend gebürstet werden, und ihr üblicherweise zarter elfenbeinfarbener Teint war mit roten Flecken übersät und mit Staub bedeckt. Der Sonnenhut, mit dem sie bei ihrer Gastgeberin einen guten Eindruck hatte machen wollen, war eine reine Katastrophe – die Blumen waren vom Wind zerpflückt und die gestärkten Bänder von ihren nervösen Fingern hoffnungslos zerknittert.
    Sie zog die Schleife unter ihrem Kinn auf, setzte den Hut ab und starrte stirnrunzelnd ihr Spiegelbild an. Er hatte ohne jeden Zweifel bei diesem Anblick belustigt in sich hineingelacht!
    Zornig versuchte sie, ihr Haar zu glätten und ihr Gesicht mit einem bereits schmutzigen Taschentuch zu säubern. Über ihrem Kopf quietschte der Punkah monoton, wobei die schwere Matte die Luft nicht einmal ausreichend bewegte, um die Schweißperlen auf ihrer Stirn zu trocknen. Sie tupfte sich ihr feuchtes Gesicht ab und hinterließ dabei helle Schmutzstreifen, die sie sich ungeduldig mit der Hand abwischte.
    Dann sah sie im Spiegel eine Bewegung an der Tür; das Tuch, das vor dem Eingang hing, wurde von einer kleinen Hand zurückgezogen. Roxane wollte nicht bei ihrer improvisierten und wenig effektiven Toilette überrascht werden, also drehte sie sich auf dem Absatz um und kehrte rasch zu ihrem Sessel zurück. Sie schaffte es nur bis zur Mitte des Raumes, bevor sie entdeckt wurde.
    »Hallo, Sie müssen Miss Sheffield sein. Erinnern Sie sich an mich?«
    Roxane betrachtete das kleine Mädchen mit dem flammend roten Haar, den blassblauen Augen und dem lavendelfarbenen Kleid. »Nein. Nein, es tut mir leid«, gestand sie aufrichtig. »Aber ich glaube, ich kann erraten, wer du bist.«
    »Ach ja?«, erwiderte das Mädchen neugierig.
    »Als ich dich das letzte Mal sah, warst du beinahe noch ein Baby. Du warst vielleicht knappe fünf Jahre alt, vielleicht auch jünger. Unity Stanton, ich bin überrascht, dass du dich noch an mich erinnerst!«
    Das rothaarige Mädchen lachte.
    »Mutter hat mir gesagt, dass Sie hier sind.« Unity trat näher heran. »Ich sehe jünger aus, als ich bin. Aber an mein Alter erinnern Sie sich wahrscheinlich nicht mehr. Ich bin vierzehn, fast fünfzehn. Unverbesserlich, wie Mutter sagt. Romantisch, wie ich finde.«
    Roxane hob belustigt die Augenbrauen. Eigentlich fand sie die Freimütigkeit des Mädchens liebenswert, aber sie dachte unwillkürlich an die Bemerkung, die Captain Harrison soeben über romantische Neigungen gemacht hatte. Außerdem war Unity Stanton praktisch eine Fremde, und ein Gespräch über private Angelegenheiten zwischen ihrer Mutter und ihr – vor allem, wenn es sich um eine Meinungsverschiedenheit handelte – war nicht schicklich.
    Anscheinend verriet ihre Miene ihre Auffassung, denn Miss Stanton sagte: »Mir gegenüber brauchen

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