Palast der Stürme
kann. Ich habe das Gefühl, dass wir großartig miteinander auskommen werden.«
Unitys Schlafzimmer lag im hinteren Teil des Hauses und zeigte nach Westen. Der Raum war noch angenehm kühl, da die Vorhänge das grelle Sonnenlicht dämpften und die blassen Wände den Eindruck noch unterstrichen. Eine junge Inderin wartete bereits auf sie – Unitys Ayah, ihr Kindermädchen. Das Mädchen gab ihr einige Befehle, bevor sie sich wieder Roxane zuwendete.
»Setzen Sie sich, Miss Sheffield. Bis zu unserer Abfahrt werden wir uns mein Schlafzimmer teilen. Das macht Ihnen doch nichts aus? Ich habe nach Ihrem Gepäck und nach Wasser und Handtüchern schicken lassen. Sie werden gleich wieder Sie selbst sein, und ich wage zu behaupten, dass das, was ich unter dem Reisestaub sehe, bemerkenswert ist. Sie sind sehr schön. Mutter sagt das auch. Sie hat mir erzählt, dass Sie als kleines Mädchen ziemlich mollig und nicht gerade hübsch waren, aber sie musste zugeben, dass sich das geändert hat.«
Bei jedem ihrer Worte wurden Roxanes grüne Augen größer, und sie zog verblüfft ihre dunklen Augenbrauen nach oben. Sie wusste nicht recht, wie sie auf eine solche unerwartete Lobrede reagieren sollte. Allerdings wurde anscheinend keine Antwort von ihr erwartet, denn Unity sprach ohne Pause weiter.
»Sie kam hereingelaufen – soweit man das bei Mutter laufen nennen kann – und sagte zu mir: ›Wach auf, Unity, wir haben Miss Sheffield vergessen. Sie wartet jetzt im Salon. Du wirst sie kaum mehr wiedererkennen.‹ Und dann berichtete sie mir, wie sehr sich Ihr Aussehen verändert habe. Na ja, ich hätte Sie ohnehin nicht erkannt. Als wir die Nachricht von Ihrer Ankunft erhalten haben, hatte ich nur eine schwache Erinnerung an Sie vor Augen. Nur Ihre Augen waren mir noch im Gedächtnis. Außergewöhnliche Augen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie auch Captain Harrison gefallen haben.«
Roxane starrte Unity an, als hätte ihr diese einen Stoß versetzt. »Ich … Was?«, stammelte sie.
Unity warf ihren Kopf zurück und lachte vergnügt auf. Ihr rotes Haar fiel ihr in ungebändigten Wellen über den Rücken und ließ sie zusammen mit ihrem schmalen Gesicht wie eine Elfe aussehen – eine Kindfrau, die die Grenzen des Irdischen überschritten hatte.
»Seine Augen sind bezaubernd, finden Sie nicht auch? Von dunkler Farbe, aber umgeben von Licht, wie Sturmwolken am Horizont, während die Sonne noch scheint.«
»Du bist wirklich eine Romantikerin«, meinte Roxane trocken und erhob sich von dem Stuhl, auf dem sie sich soeben niedergelassen hatte. »Etwas so Bemerkenswertes habe ich daran nicht feststellen können.«
»Wirklich nicht? Dann sind Sie nicht sehr aufmerksam, wenn man bedenkt, wie viel Zeit Sie in seiner Gegenwart verbracht haben.«
Das Mädchen lächelte und grub seine kleinen perlweißen Zähne in die Unterlippe.
»Ich bin immer aufmerksam.« Ihre Antwort klang, als würde sie sich angegriffen fühlen, wie Roxane zu ihrem Leidwesen feststellte. »Wir haben eine gewisse Zeit miteinander verbracht, das ist wahr, aber nicht mehr, als nötig war.« Entschlossenen Schrittes durchquerte sie das Zimmer, hob die Bambusjalousie an und spähte mit zusammengekniffenen Augen auf die Veranda. Obwohl die Sonne bereits hoch am Himmel stand, gelangte nur wenig Licht in das Zimmer, da es im Schatten des Vordachs, das das gesamte Haus umgab, lag. Unitys Bemerkung rief ihr das sonnengebräunte Gesicht des Captains wieder ins Gedächtnis. Und seine Augen, die – wie sie sich selbst sagte – einfach nur schiefergrau waren. Sie hatten nichts an sich, was eine Frau zu solchen tiefgründigen Aussagen verleiten könnte, wie Unity sie soeben gemacht hatte. Das Mädchen befand sich anscheinend in einer Phase, in der es gern solchen Unsinn von sich gab.
»Sind Sie nicht bereits in der Morgendämmerung von Bord gegangen?«
Roxane zuckte leicht zusammen und warf einen Blick über die Schulter. »Ja«, gab sie zögernd zu. »Und ich habe zwei Stunden gewartet, bevor ich mich um mein Weiterkommen bemüht habe.«
»Das tut mir furchtbar leid«, erklärte Unity zerknirscht. »Mutter ist das sehr peinlich. Wenn Papa nach Hause kommt, wird es ihm ebenso ergehen, da bin ich sicher.« Dann knüpfte sie lachend an ihre vorherige Bemerkung an. »Und jetzt ist es beinahe schon Mittag.«
Roxane begriff sofort, worauf das Mädchen anspielte, antwortete ihm aber nicht.
»Haben Sie in der Zeit, die Sie mit ihm verbracht haben, Captain Harrison nicht als
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