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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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attraktiven und liebenswürdigen Menschen zu schätzen gelernt?«
    Roxane war in Gedanken noch so sehr mit den Ereignissen des Morgens beschäftigt, dass sie nicht merkte, wie Unity sie – wenn auch auf freundliche Weise – auf den Arm nahm. »Nein, sicher nicht!«, widersprach sie heftig und ließ die Jalousie abrupt über den Fensterrahmen fallen. Sie rauschte zurück durch das Zimmer und blieb vor der Frisierkommode stehen. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr, dass ihr Kleid verknittert war. Und die Hand auf ihrem Rock war zu einer Faust geballt. Rasch streckte sie ihre Finger aus, griff nach Unitys silberfarbener Haarbürste und betrachtete die Strähnen, die sich in den Borsten verfangen hatten und wie Spinnfäden hervorragten.
    »Er war frech und unausstehlich«, behauptete sie und atmete tief aus.
    Unity musterte Roxane mit unverhohlener Skepsis.
    »Anscheinend habe ich seine schlimmste Seite hervorgebracht«, fügte Roxane hinzu.
    »Das kann ich kaum glauben. Ist er unverschämt geworden?«, wollte Unity wissen.
    Roxane zögerte. Sie legte die Bürste zur Seite und hob den Kopf. Ehrlichkeit war ihr sehr wichtig. Lügen waren ihr zuwider, selbst wenn es nur darum ging, eine belanglose Konversation zu beenden.
    »Nein«, erwiderte sie.
    »Das habe ich mir gedacht.« Unity lächelte strahlend. »Ich bin sicher, dass Sie ihn sehr sympathisch fanden, Roxane Sheffield! Und er Sie auch!«
    Roxane lachte. »So sympathisch, dass ich hoffe, ihm nie wieder zu begegnen …«, begann sie und hielt dann abrupt inne.
    Die beiden waren nicht mehr allein im Zimmer. Lautlos waren zwei Diener, ein Pärchen, hereingekommen. Das Mädchen brachte Handtücher, und der junge Mann trug ein Gefäß mit lauwarmem Wasser. Unity schien die Anwesenheit der beiden gar nicht zu registrieren, aber die Tatsache, dass ein Mann unangemeldet das Schlafzimmer einer Dame betrat, verschlug Roxane die Sprache. Sie starrte stumm auf die beiden, bis Unity sich umdrehte, um die Ursache für ihr merkwürdiges Verhalten herauszufinden.
    »Was ist los?«, fragte das Mädchen mit einem Blick über die Schulter.
    »Ich … na ja … nichts«, stammelte Roxane, als ihr klar wurde, dass es einige Dinge gab, auf die ihre Bücher sie nicht vorbereitet hatten, und an die sie sich noch gewöhnen musste. Der Diener trug eine frisch gestärkte Tunika und eine lange Hose. Als er das Wasser vorsichtig aus dem Gefäß in die Waschschüssel goss, klang das Plätschern beinahe wie Musik. Seine Begleiterin – unverschleiert, worauf Roxane Unity gern hingewiesen hätte –, legte die Handtücher auf den Waschtisch, und dann verschwanden beide so leise und unauffällig, wie sie gekommen waren. Unity holte einen bemalten Wandschirm aus einer Ecke und stellte ihn vor den Waschtisch.
    »Warum ziehen Sie Ihr Kleid nicht aus? Ihr Gepäck wird gleich hier sein, also lasse ich Sie jetzt allein. So wie ich Mutter kenne, hat sie bereits ein wunderbares Mittagessen geplant, und wir werden essen, sobald Sie fertig sind.«
    Unity wandte sich zum Gehen und hüpfte wie ein kleines Kind aus dem Zimmer. Roxane hörte sie ein Lied aus der Schule summen, das nicht so recht zu ihrem Alter passte und auf die verschiedenen Seiten ihrer Persönlichkeit hindeutete. Nachdenklich drehte Roxane die Bänder ihres Huts zwischen den Fingern und ging dann in die Mitte des Zimmers. Warum hatte Miss Stanton spöttische Bemerkungen über Captain Harrison gemacht? Sicher nur aus einer dummen, mädchenhaften Laune heraus. Sie konnte doch unmöglich wissen, wie sehr sie Roxane mit ihren Worten treffen würde. Augen in der Farbe von Gewitterwolken am Horizont: romantischer Unsinn!
    Als sie an die Berührung seiner Lippen dachte, hob sie unwillkürlich die Hand an den Mund. Eigentlich wollte sie sich selbst bestätigen, dass sie so etwas nie wieder gestatten würde, falls sie noch einmal in eine solche Situation geraten würde, doch plötzlich war sie sich nicht mehr sicher. Rückblickend musste sie sich eingestehen, dass Captain Harrisons Kuss erfahren und doch zart gewesen war, und dass sie dabei ein durchaus angenehmes Gefühl empfunden hatte. Der Schock und das Schamgefühl hatten ihre Wahrnehmung beeinträchtigt. Sie musste sich in Zukunft zusammenreißen, um eine derartige Situation zu vermeiden. Dass sie eine solche Schwäche zeigen würde, hätte sie von sich selbst nicht einmal im Traum gedacht.
    Ein Geräusch hinter ihrem Rücken ließ sie so rasch herumwirbeln, dass ihr apfelgrüner Rock in

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