Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
Vom Netzwerk:
unbestreitbar grausam finden werden.«
    »Ach ja?«, erwiderte die junge Frau. »Inwiefern?«
    Der Offizier wollte ihr darauf offensichtlich keine Antwort geben und starrte schweigend nach vorn.
    »Wie lange sind Sie schon hier, dass Sie behaupten können, Indien so gut zu kennen?«, fragte Roxane sarkastisch.
    »Seit fünf Jahren, im Dienst der Ostindien-Kompanie«, antwortete er.
    »Seit fünf Jahren?«, wiederholte Roxane, während sie sich eine passende schneidende Bemerkung zurechtzulegen versuchte. Leider kam sie nicht dazu, etwas zu sagen, denn der Captain rief einer Ansammlung, die die Straße blockierte, etwas zu. Geschickt manövrierte er die Kutsche um die Menschenmenge herum. In der Mitte der Gruppe stand ein Einheimischer in einem zerlumpten langen Gewand und einem Turban und sprach mit lauter, schriller Stimme leidenschaftlich auf die Männer ein, die sich um ihn versammelt hatten. Ohne seinen Redefluss zu unterbrechen, drehte er sich um und starrte den vorbeifahrenden Wagen und die Insassen an. Roxane war erschrocken, als sie das hasserfüllte Glitzern in den schwarzen Augen des Mannes sah, dessen Blick sich vor allem auf Captain Harrison richtete.
    »Wie unerfreulich«, murmelte sie. »Wer war dieser Mann? Kennen Sie ihn?«
    Ihr Begleiter sah sie grimmig an. Dann trieb er sein Pferd mit einer leisen Aufforderung an, um rascher wieder freie Fahrt zu haben.
    »Das war ein Fakir«, erklärte er. »Eine Art Bettelmönch. Ja, er kennt mich, und ich kenne ihn.«
    »Was hat er gesagt?«
    Der Offizier schnaubte. »Wenn ich mich nicht täusche, pries er gerade einen heiligen Krieg an.«
    »Einen heiligen Krieg? Gegen wen?«
    »Gegen Ausländer natürlich. Christen. Und das schließt Sie und mich ein, liebe Miss Sheffield. Wären Sie nicht bei mir gewesen, hätte ich versucht, die Versammlung aufzulösen. Nun ist der Schaden angerichtet.«
    »Denken alle Inder so wie dieser Mann?«, fragte Roxane. Sie konnte eine solche Ungeheuerlichkeit kaum glauben.
    »Nein, noch nicht. Ich bezweifle, dass es jemals zu einem organisierten Aufstand gegen die britische Regierung kommen wird, allerdings könnte es dementsprechende Versuche geben. Vor allem unter den Sepoys, also den einheimischen Soldaten, herrscht eine gewisse Unzufriedenheit, die nicht ganz unbegründet ist. Aber es gibt kein gemeinsames Anliegen, das diese missmutigen Grüppchen dazu bringen könnte, sich zusammenzuschließen.«
    Roxane sah eine Weile nachdenklich drein. »Mein Vater hat nichts von alldem in seinen Briefen erwähnt«, meinte sie schließlich. »Er steht zu seinen Männern, und sie verehren ihn.« Sie konnte den leicht bitteren Ton in ihrer Stimme nicht unterdrücken, aber glücklicherweise schien der Offizier das nicht zu bemerken.
    »Wer ist Ihr Vater?«, wollte er wissen.
    »Colonel Maxwell Sheffield in Delhi.«
    »In Delhi?« Harrison schnalzte missbilligend und ein wenig spöttisch mit der Zunge. Dann ließ er einen der Zügel aus Leder los und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, nachdem er seinen Helm abgenommen und neben sich auf den Sitz gelegt hatte. Neben dem spitz zulaufenden Haaransatz fiel ihm eine dunkle Locke in die Stirn, die Roxane auf merkwürdige Weise sehr anziehend fand. Rasch wandte sie den Blick ab und starrte auf das schweißbefleckte Hinterteil des Rotschimmels im Geschirr.
    Merkwürdigerweise spürte Roxane das Bedürfnis in sich aufsteigen, den Mann, der ihr Vater war, zu verteidigen, obwohl sie so wenig von ihm wusste. Sie atmete tief durch und setzte zu einer leidenschaftlichen Antwort auf die missbilligende Äußerung des Captains an.
    »Und ich nehme an, Sie wissen genau Bescheid. Sehr interessant. Ich gehe selbstverständlich auch davon aus, dass ein Captain, der seit fünf Jahren in Indien dient, weitaus mehr über die Einheimischen weiß als seine Vorgesetzten, die bereits doppelt so lange in diesem Land stationiert sind.«
    »Kein Grund für Sarkasmus, Miss Sheffield«, erwiderte der Captain. »Sie verstehen es eben nicht.«
    So leicht ließ sich Roxane jedoch nicht abschrecken. »Was gibt es daran zu verstehen, Captain Harrison? Haben Sie in den fünf Jahren Ihres Dienstes in Indien dieses Land so sehr hassen gelernt?«, fragte sie kühl.
    Überraschenderweise lachte er, während er sich über die Zügel auf seinen Knien beugte, um seinen Helm aufzuheben, der vom Sitz auf den Boden gerollt war. Dann warf er Roxane einen kurzen Blick über die Schulter zu.
    »Ganz und gar nicht«, erwiderte er.
    Roxane war

Weitere Kostenlose Bücher