Palast der Suende - Roman
fragte Cherry und versuchte, ihre Niedergeschlagenheit aus der Stimme zu halten. »Wohin reist ihr denn?«
»Nach Paris. Harper wollte sich immer schon die Galerien dort anschauen.«
»Also, ich gehe dann.« Sie bewegte sich zur Tür.
»Nein, geh bitte nicht.« Harper stellte sich ihr in den Weg. »Jedenfalls noch nicht.«
Er küßte sie scheu. Sie schloß die Augen, und als sich seine Lippen von ihren lösten, schaute sie fragend zu Quaid. Er beobachtete sie, aber sein Gesichtsausdruck verriet nicht, was er dachte.
»Sollen wir sie jetzt fragen?« Harper war aufgeregt und nervös.
Quaid nickte. »Ja, warum nicht? Frage sie.«
Das dünne Licht der Morgendämmerung drang allmählich durch die Vorhänge. Claire hörte die Tauben auf dem Fenstersims gurren, und ein Potpourri von Kirchenglocken rief die Gläubigen zur frühen Messe. Sie setzte sich im Bett auf und starrte auf ihr zerknülltes Ballkleid. Überwältigt von Erschöpfung hatte sie sich einfach aufs Bett geworfen, als sie endlich ihr Hotelzimmer erreicht hatte, ohne sich auszuziehen und ohne zu wissen, ob Sean blieb oder nicht.
Sie schaute sich im Zimmer um und sah, daß er sich zum Bleiben entschieden hatte.
Er lag auf dem Sofa, die Füße über der einen Lehne, die Augen fest geschlossen. Seine Fliege hing vom Hals hinunter, und das Hemd war aus der Hose gerutscht. Im Schlaf sah er fast wie ein Engel aus, die langen dunkelblonden Wimpern ruhten erschöpft, und zwischen den Brauen hatte sich eine Querfalte gebildet. Nur die Bartstoppeln und der sich gelb verfärbende Fleck über dem Auge paßten nicht zum Bild der Unschuld. Eine
Locke seines Haars war ihm in die Stirn gerutscht, und Claire hätte sie ihm am liebsten zurückgeschoben.
Sie unterdrückte diesen Wunsch erbarmungslos. Zwischen ihr und Sean gab es nicht mehr die Chance einer Versöhnung, nachdem er die Tiefe ihrer körperlichen Schwärmerei mit Stuart erfahren hatte. Sie seufzte. Es war ebenso sehr ihr Fehler wie Stuarts gewesen. Sie war reif für die Verführung gewesen, und sie war willig in seine Hände gefallen. Selbst jetzt konnte sie es nicht bereuen, wenn sie an die Lust dachte, die er ihr beschert hatte. Das einzige, was sie bereute, war das verdammte Porträt. Es war zu konkret, zu offensichtlich, und es lieferte den Beweis ihrer Bereitschaft, sich ihm ganz zu unterwerfen.
Sie fuhr glättend über ihr Kleid, als es klopfte. Sie stand hastig auf und trippelte zur Tür.
Es war Cherry. Sie trug Jeans, einen Mohairpulli und ihre üblichen hohen Absätze. Bevor sie etwas sagen konnte, bedeutete ihr Claire, still zu sein.
»Sean schläft noch«, flüsterte sie, trat auf den Flur und zog die Tür hinter sich zu. »Ich will ihn nicht wecken.«
»Ist er noch bei dir? Habt ihr zwei...«
»Nein.« Claire brach die Frage der Freundin ab, dann sah sie, daß Cherry einen Koffer in der Hand hielt. »Hast du schon gepackt? Das Flugzeug geht erst am Mittag.«
»Ich weiß. Ich komme nicht mit nach London.«
Claire hob eine Augenbraue und lächelte. »Du hast also deine Probleme gelöst? Welcher ist es denn?«
Cherry errötete. »Beide.«
»Was?«
»Oh, ich weiß, es muß sich ein bißchen pervers anhören.
Aber sie sagen, daß sie glücklich sind, wenn wir alle drei zusammenbleiben.«
»Und was ist mit dir? Willst du das auch?«
»Da fragst du noch? Es ist die Antwort auf die Gebete einer Frau! Ich bin wahnsinnig aufgeregt. Ich kann es nicht erwarten, mit ihnen Paris zu erleben.«
Claire mußte lachen. »Du bist unmöglich. Ganz egal, auf welchen Misthaufen du fällst, wenn du wieder hochkommst, duftest du nach Rosen.« Dann wurde sie ernst. »Was ist nach Paris? Gehst du mit ihnen in die Staaten?«
Cherry hob die Schultern. »Wer weiß? Ich will mich nicht festlegen. Wir warten ab, was geschieht.« Sie lächelte. »Ich muß gehen, sie warten unten auf mich.«
Claire küßte Cherry auf die Wange. »Viel Glück. Du rufst mich aber gelegentlich an, um mir zu sagen, wie es dir geht, ja?«
»Natürlich. Und auch dir viel Glück mit ihm da.« Sie wies auf die Tür.
Claire schaute der Freundin nach, bis sie im Aufzug verschwunden war, dann drehte sie sich seufzend um und ging wieder auf ihr Zimmer. Eifersucht war ein eigenwillig Ding. Sie hoffte, daß Quaid und Harper davon nicht erfaßt wurden. War Cherry mutig oder nur naiv? Sie schien ein unerschütterliches Vertrauen ins Leben zu haben. Sie selbst hätte nicht den Nerv, sich in eine solche Situation zu begeben. Es lag in ihrer
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