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Pallieter

Pallieter

Titel: Pallieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Timmermans
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emporgearbeitet und läutete nun mit seinen blanken Glöckchen unschuldig in der Luft.
    »Gott hat seine Zehen schon auf die Erde gesetzt!« jauchzte Pallieter.
    »Wir können Gott danken, der Winter ist vorbei!« sagte der Pastor.
    »Und dort is das Lebengeben schon in vollem Gang«, rief Pallieter, und er zeigte nach einem Bauernhof jenseits der Nethe, wo zwei Bauern eine weiße Kuh von einem jungen, rotgefleckten Stier bespringen ließen. In einem Augenblick wars geschehen, und schon war neues Leben in der Kuh geweckt. Dann sprang der Stier hin und her und schlug mit den Hinterbeinen einen Eimer und Erdklumpen in die Luft. »Eine schöne Lichtmeß haben wir«, sagte der Pastor.
    »Ich hör das Licht krachen«, jauchzte Pallieter.
    »Die Bäume weinen vor Freude«, sagte der andere.
    »Kommt mit zu Franzoo, frisches Märzbier trinken, auf die Ankunft des Frühlings!« Und mit diesen Worten faßte Pallieter ihn unter, und sie gingen Arm in Arm nach der Nethe, um hinüberzulaufen. Doch das Eis war gebrochen und trieb in großen, gelben Schollen auf dem Fluß hinunter; das Boot lag noch immer unter Wasser, festgefroren im Eis.
    »Aber Pallieter,« lachte der Pastor, »da können wir doch nicht hinüber! Komm, wir gehn durch die Stadt.«
    »Das geht ganz leicht,« sprach Pallieter, »gebt mir nur die Hand!«
    »Nein, nein,« sagte der Pastor, »ich bin noch zu jung, um mein Leben zu riskieren.«
    »Ich kann springen«, sagte Pallieter. »Ihr werdet doch nich bang sein? Das könnt Ihr morgen immer noch!«
    Der Pastor ließ sich überreden; er hatte viel Vertrauen in Pallieters Geschicklichkeit. Pallieter nahm den Pastor auf den Rücken, ging den Deich hinunter und sprang auf eine vorbeiziehende Scholle, aber die brach und kippte um; doch bevor Pallieters Füße das Wasser berührt hatten, war er auf drei, vier Schollen gesprungen, von der einen auf die andere, bis er endlich in der Mitte stehen blieb auf einer großen, starken Eisplatte.
    »Spring weiter!« rief der Pastor.
    »Nein,« sagte Pallieter und stellte den Pastor nieder, »fühlt nur, wie angenehm es is, so auf dem Wasser zu wandeln.« Und so ließen sie sich auf der Nethe hintreiben.
    Charlot hatte es gesehen, kam verzweifelt herausgelaufen, riß sich die Haare aus und schrie die ganze Gegend zusammen. »Sie ertrinken, der Herr Pastor ertrinkt! Ein Seil, ein Seil, zu Hilfe!«
    Und so rasch sie konnte, lief sie nach der Nethe, hinter den zwei treibenden Männern her. Aber wie verwunderte sie sich, als der Pastor ihr zurief: »Na, Charlot, findest du nicht, daß ich ein guter Sankt Petrus bin?«
    Sie zitterte auf ihren dicken Beinen, und vor Aufregung sagte sie: »Ach, neeee...«
    So trieben sie bis zu Franzoo, um bei ihm den Abzug des Winters zu feiern, der nun ausging in süßer Musik und strahlenden Perlen.

 
     
     

Dudelsäcke
     
    Als der Schnee und das Eis geschmolzen waren, verbarg sich die Sonne wieder, und zwei Wochen lang rieselte ein feiner, kalter Regen. Dann war aus dem bleichen Süden ein lauer Wind über das Land gekommen, von irgendwoher hinter dem Beginenwald. Und zwei Tage nach Aschermittwoch waren die schwarzen Bäume und das kleine Gebüsch schon mit schwellenden Knospen getüpfelt. — Pallieter, der es morgens von seinem Turmfenster aus sah, rief laut und immer wieder: »Ich seh den Lenz! ich seh den Lenz!«

    Er vergaß seinen Kaffee und blieb draußen und betrachtete regungslos und ergriffen den ersten Sprung des Lebens.
    Die Sonne saß hinter hohen, dünnen Wolken versteckt, aber die Fernen waren noch nie so klar — weit und offen. In den fernsten Bäumen sah man deutlich die schwarzen Elsternester und durch die Zweige hindurch drehende Mühlen in fernen Dörfern; das ganze Land lag offen da, die ganze Welt war nackt und zeigte, wie etwas nie Gesehenes, bis an den klaren Horizont den großen Reichtum ihrer Bäume.
    »Oh, die Bäume, die Hände der Erde!« rief Pallieter. »Die Hände, mit denen sie ihr Werk vollbringt, mit denen sie betet und jauchzt, mit denen sie all ihre schöne Kraft in wilder Leidenschaft jedes Jahr zum Himmel emporhebt und den Menschen ihre schönen, süßen Früchte darbringt. — Es leben die Bäume!«
    Und siehe, dort unten auf dem jenseitigen Nethedeich hing ein Mann in einer Pappel und hackte Äste mit dem Beil ab, und dort hinten schoren ein Bauer und eine Bäuerin die Hecke um ihren Obstgarten.
    Das brachte einen frischen, lustigen Klang ins Land, das still war und voller Frieden.
    »Heut is Neumond!«

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