Pallieter
hinauf und blickte vom Deck aus lange in den Abend hinein. Durch die offene Luke kam rote Glut von Lampenlicht. Eine Frau sang ihr Kind in Schlaf.
Die Schlittschuhe über der Schulter, ging Pallieter über den gewundenen Deich nach Hause. Es war nun völlig Abend geworden, aber der Mond hatte das Land wieder hell gemacht mit silberblauem Schein. Die Sterne zitterten hoch und klar am Himmel, und das weite Land war so hell, daß man sehen konnte wie am Tag. Es war still und einsam. Der Schnee knirschte unter Pallieters Füßen, und sein kurzer Schatten folgte ihm bläulich, wie ein anderes Wesen, und die Schatten der Bäume, dunkel über den weißen Schnee gestreckt, bogen sich immer wieder über seinen Leib. Der Mond wanderte mit ihm. Er war hell und klar, und hinter den schwarzen Bäumen zog er immer mit. Die Bäume am andern Ufer, die in die volle Herrlichkeit seines Scheins getaucht waren, ließen auf ihren beschneiten Zweigen Sterne blitzen und Funken glitzern. Sie waren wie Kristallbäume. Gefrorene Springbrunnen aus Licht.
Die Stille, die über diesem Märchenland hing, war so schön wie der Mond und der Schnee und rührte so innig wie die silberige Bläue.
Auf einmal ertönte hoch über ihm ein fernes Geräusch von sausendem Flügelrauschen. Er blickte auf, und hoch am Himmel gewahrte er einen mächtigen Flug von wilden Schwänen in einer langen, langen Reihe, die den ganzen Himmel überspannte.
Es war etwas Furchtbares in dieser göttlichen, lichten, stillen Winternacht. Pallieter rührte sich nicht, und er sah und hörte sie weiter sausen und rauschen, am blühenden Mond vorbei, auf dem sie sich flüchtig abzeichneten, um dann, von hinten beleuchtet, in dem unendlichen Winterabend zu verschwinden.
Immer an diesen gewaltigen Flug der geheimnisvollen Schwäne denkend, ging er nach Haus.
Als er ankam, saßen in der dunklen Stube vier Beginen mit Mariechen und Charlot um einen heißen Grog herum, auf dem sich eine blaue Flamme wiegte, die ihre neugierigen Gesichter bläulich erleuchtete. Die Stube roch nach frischgebackenen Waffeln. »Hurra!« rief Pallieter, dessen Magen leer war wie ein Dudelsack, setzte sich dazu und aß ein Dutzend Waffeln, die er reichlich übergoß mit vollen Gläsern von dem heißen Branntwein.
Dann wurde die Lampe angezündet, und Pallieter spielte das ,wahrhaftige Gänsespiel’ mit den Beginchen, bis es Zeit war, in die Mitternachtsmesse zu gehen.
Pallieter blickte ihnen nach; auf andern Wegen sah er noch mehr Menschen in derselben Richtung gehen. Still wurde es nun wieder über der Welt, weiß und silbern.
Christus ward heute geboren, nun standen die Schafe mit dem Kopf nach Osten, und die Bienen sangen in den Körben! Es ist der Friede, der über die Welt kommen soll!
Da oben funkelten die Sterne, und hier unten beteten die Menschen um den Frieden, den göttlichen Frieden, der heute über die weiße Welt gekommen ist.
Pallieter fühlte das, es überlief ihn kalt, er holte sein Jagdhorn, und auf dem Beginenwall blies er in die weiße Mondnacht hinaus. Lang und langsam geblasen, zogen die schweren Töne über die weißbeschneiten Felder und klangen im Beginenwald und den silbernen Fernen aus. Als er im Haus war, klang aus einem fernen Dorf noch leise das Echo von dem Hörnerschall zurück.
Kindlich glücklich war Pallieter, als er mit seinem süßen Mariechen in den Armen im warmen Bette lag. Dieser Tag war schön gewesen! Ein Fest für Herz und Seele! Eine geistige Freude!
Und er schlief ein mit lachendem Munde, und draußen streckte sich die Welt kalt und weiß, und überall war der Friede König, der göttliche Friede!
Taulied
G anz unerwartet, nach einem Tag, da der Reif die Stämme der Bäume, die Unterseite der Äste und alles, was noch nicht beschneit war, mit Silber beglitzert hatte, begann es zu tauen. Eine plötzliche laue Wärme umengte und bedrückte alles, und die beschneiten Dächer und die Bäume und die Eiszapfen an den Dachziegeln merkten das sofort und fingen an zu tröpfeln, der Schnee sank zusammen, das Eis krachte und brach.
Drei Tage danach trieben die Eisschollen die Nethe hinunter.
»Nun zieht die schönste Musik durch das Land«, sagte Pallieter zu dem Pastor. Sie standen beide auf der kleinen Steinbrücke über dem ,Hemdsärmelchen’, einem Seitenarm der Nethe, der seinen schmalen Lauf durch den Beginenhof schlängelte. Von der kleinen, mit Moos bewachsenen Brücke aus lauschten sie auf das Taulied, das durch den Beginenhof
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