Pallieter
»ihr bekommt noch einmal soviel Geld, wenn ihr verkleidet seid. Charlot, hol ein paar alte Kleider vom Boden!«
Und Pallieter fing nun an, sie zu verkleiden.
Dem ersten, der klein und dick war und rote, entzündete Augenlider hatte, wurde ein Stück weißer Watte als Bart vors Gesicht geklebt und eine blaue Nachtmütze aufgesetzt. Der andere war ein kurzer Buckliger mit geschlossenen Lidern. Mariechen schnitt eine Papierkrone für ihn und beklebte sie mit Silberpapier von Schokolade. Diese wurde über seinen runden Hut geschoben, und er bekam eine blaue Schürze von Charlot als Mantel über die Schultern. Die Blinden ließen sich alles gefallen und lachten, als sie einander betasteten. Der dritte, der das Zigarrenkistchen trug, um das empfangene Geld hineinzulegen, war ein langer magerer Kerl mit einem Leo-XIII.-Gesicht, in dem das Weiße seiner toten Augäpfel immer nach dem Himmel blickte. Er wurde schwarz gemacht und setzte einen zerdrückten Zylinder auf. In wenigen Minuten wars geschehen, und nun stellten sie Kaspar, Melchior und Balthasar vor.
»Jetzt könnt ihr singen«, sagte Pallieter.
Die drei armen Kerle, die einander nicht sehen konnten, einander nie gesehen hatten, mußten doch lachen, weil sie wußten, daß sie verkleidet waren, und sie machten manchen lustigen Witz darüber.
Und sie sangen mit lachendem Munde, während der kurze Stern sich hin und her drehte. Und unregelmäßig, alt und gebrochen und ohne Melodie erklang es:
»Hirten, bringt Milch und Süßigkeit,
Der liebe Jesus liegt und schreit;
Hängt euern Langrock vor den Wind,
Der Pflegevater sorgt fürs Kind.
Maria gibt ihm Zuckerbrei,
Und Joseph bringt ein Tuch herbei;
Der liebe Jesus schreit vor Durst,
Die Mutter gibt ihm ihre Brust.
Der Himmel voller Vögel fliegt,
Ein Engel mit Maria wiegt,
Denn Joseph schafft die ganze Nacht
Und wäscht die Windeln in dem Bach.
Jetzt holt er Brennholz aus dem Wald,
Denn in dem Winter ist es kalt,
Doch dann ist Joseph sehr erfreut,
Weil nun das Kindchen nicht mehr schreit.
Schlaf, Jesus, schlaf, Emanuel,
Schlaf, großer Fürst von Israel,
Wohl Tausend freuen sich, o Christ,
Dieweil du nun geboren bist.
Der gute Gott am Himmelstor,
Der legt kein Schloß nicht mehr davor,
Denn Jesus bringt den Ölzweig mit:
Dies Kindchen bringt uns Freud und Fried.
Wenn Maria ihr heilig Kind
Vorm Feuer in seine Tücher wind’t,
Seine Hände spielen hier und dar
Von ihrer Brust bis in ihr Haar.
Aus Jesu Wissen fließt ein Gut,
Dies Gut ist meiner Seele Blut;
In Bethlehem, da möcht ich sein,
Weil nun der Stall ein Himmel fein.«
Pallieter war gerührt, Tränen tropften über seine Wangen. Die drei Blinden warteten, lüstern auf Pfefferkuchen und Geld.
»Was soll ich ihnen geben?« fragte Charlot.
»Das is nich zu bezahlen«, beteuerte Pallieter.
»Gebt uns nur, was der Herr Nachbar meint«, sagten die Blinden.
»Gib ihnen das halbe Schwein«, gebot Pallieter.
Und wie erschraken die drei Männer, als ihre schmutzigen Hände das fette Schwein befühlten. Sie schrieen wild vor Freude durcheinander, und zu dritt trugen sie daran, ließen Stern und Zigarrenkistchen zurück und schleppten und zerrten das halbe Schwein singend auf den Beginenhof.
Viele kamen noch, ehe es Abend wurde. Immer noch liefen Beginchen auf dem Graben Schlittschuh und blieb Gewühl auf der Mühlenwiese.
»Jetzt will ich auch Schlittschuh laufen«, sagte Pallieter.
Er kleidete sich danach und ging durch den Garten hinaus. Er schnallte sich die Schlittschuhe an, auf seinem Kahn sitzend, der voll Eis und beschneit halb im Wasser steckte. Er tanzte einmal auf dem beschneiten Eis der Nethe herum und schoß dann davon, sich wie ein Vogel in der Luft wiegend, schlank und leicht wie eine Feder.
Er fuhr über die freie, feste Wasserbahn, und sein Haupt ragte gerade hoch genug über die Deiche hinaus, um die Landschaft überschauen zu können. Die Sonne versank rot in einem purpurnen Hauch, färbte leicht den Schnee und den wachsenden Mond, der am grünen Himmel zu glänzen anfing. Ein dicker Stern zitterte über der Mühle, die sich noch immer in der sinkenden Dämmerung drehte.
Pallieter fuhr immer weiter, sich leise wiegend, wie vom Winde getragen. So kam er bis nach Duffel. Es war schon dunkel, und in den einsamen Häusern brannte Licht. Der silberne Mond legte Schatten auf den Schnee. Ferne Geräusche verstummten. Bei einem festgefrorenen Schiff hielt Pallieter an, zog sich
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